Das Bundesarbeitsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 19.4.2012 (2 AZR 186/11) mehrere interessante Fragen über Leitende Angestellte zu befinden:
Wann ist eine Führungskraft als Leitender Angestellter im Sinne des § 14 Abs. 2 KSchG zu betrachten?
Der Sachverhalt, den das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden hatte, lautete, verkürzt – wie folgt:
Der Kläger war bei einer Bausparkasse zuletzt als Leiter der Abteilung Baufinanzierung beschäftigt.
In dem Unternehmen gab es die Richtlinie, dass jegliche private Nutzung des Internets untersagt ist und auch schon der einmalige Verstoß zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen, wie Abmahnung oder Kündigung führen könne. Bei dem Kläger wurde nun festgestellt, dass dieser sehr häufig auf Internetseiten mit pornografischem Inhalt zugegriffen hatte. Sprecherausschuss und Betriebsrat wurden zur fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung angehört. Sie hatten gegen die Kündigung keine Bedenken. Der Kläger erhielt postwendend die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung.
Er klagte dagegen. Seiner Ansicht nach habe er aufgrund fehlender Festlegung von Arbeitszeiten stets in den Pausen im Internet gesurft. Er habe die Zeit immer wieder „reingearbeitet“. Des Weiteren habe man ihm vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung erteilen müssen.
Der Arbeitgeber legte nach und stellte einen Auflösungsantrag. Mit einem Auflösungsantrag begehrt der Arbeitgeber, dass das Gericht, sollte die Kündigung unwirksam sein, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auflöst. Der Arbeitnehmer ist dann trotz unwirksamer Kündigung seinen Job dennoch los. hat aber eine Abfindung bekommen. Ein Auflösungsantrag muss bei Arbeitnehmern begründet sein. Die Latte liegt ziemlich hoch. Bei Leitenden Angestellten jedoch bedarf es keiner Begründung für einen Auflösungsantrag. Der Arbeitgeber meinte, der Kläger sei Leitender Angestellter, denn die Abteilung Baufinanzierung sei eine wesentliche Abteilung und erfasse fast die Hälfte der Mitarbeiter (45 von 110). Der Kläger sei zur selbstständigen Einstellung ermächtigt. Der Kläger hielt dem entgegen, dass er an einen Stellenplan gebunden sei und daher nicht völlig frei in seiner Entscheidung über Einstellungen. Er sei daher kein leitender Angestellter.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. In der 2. Instanz stellte der Arbeitgeber den Auflösungsantrag. Das Landesarbeitsgericht war zwar auch der Ansicht, dass die Kündigungen unwirksam seien. Es gab jedoch dem Auflösungsantrag statt und löste das Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Kündigungsfrist gegen Zahlung einer Abfindung von rund 111.000 Euro auf. Beide Parteien gingen in Revision. Der Kläger wollte festgestellt wissen, dass der Auflösungsantrag nicht rechtmäßig war und der Arbeitgeber wollte erreichen, dass die Kündigungen für wirksam befunden wurden.
Das Bundesarbeitsgericht wies beide Revisionen zurück. Das bedeutet, dass der Kläger als leitender Angestellter eingestuft wurde, dass die Kündigungen für unwirksam befunden wurden, dem Auflösungsantrag jedoch stattgegeben werden musste.
Das Bundesarbeitsgericht legte noch einmal sehr deutlich dar, dass eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung nur dann möglich ist, wenn Besserung des Verhaltens (positive Prognose) nicht zu erwarten ist. Ist aber damit zu rechnen, dass die Abmahnung zu einer Verhaltensänderung führen kann, dann muss die Abmahnung vor der Kündigung erfolgen. Der Kläger konnte zur Überzeugung des Gerichts darlegen, dass er keine Arbeitszeit für die private Nutzung des Internets verbraucht habe. Es glaubte dem Kläger, dass er die verwendete Zeit immer wieder nacharbeitete. Der Arbeitgeber konnte auch nicht nachweisen, dass mit der privaten Nutzung des Internets durch den Kläger erhöhte Kosten verbunden gewesen wären. Es blieb also der Verstoß gegen ein betriebliches Verbot, die Gefahr der Vireninfizierung und die mögliche Rufschädigung der Beklagten. Insbesondere habe man berücksichtigen müssen, dass der Kläger aufgrund seiner gehobenen Position ggf. angenommen hatte, dass man bei ihm nicht so streng sein würde. Das leuchtet mir zwar nicht ein aber das Bundesarbeitsgericht sah das wohl auch so.
Jedenfalls waren die Gerichte (alle 3 Instanzen) der Ansicht, dass eine Abmahnung gereicht hätte, um den Kläger wieder auf Kurs zu bringen.
Der Kläger wurde jedoch ohne Wenn und Aber als leitender Angestellter eingeschätzt. In § 14 Abs. 2 KSchG heißt es:
„Auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme des § 3 Anwendung. § 9 Abs. 1 Satz 2 findet mit der Maßgabe Anwendung, daß der Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses keiner Begründung bedarf.“
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss sich die Befugnis zur Einstellung oder Entlassung entweder auf eine bedeutende Gruppe von Arbeitnehmern des Betriebs beziehen oder auf eine Gruppe bedeutender Arbeitnehmer: Einfacher aber despektierlicher ausgedrückt: viele „unwichtige“ oder wenige „wichtige“ Mitarbeiter.
Die Gerichte waren der Ansicht, dass es ausreicht, wenn man über die Einstellung von Mitarbeitern einer Abteilung, die nahezu die Hälfte der Belegschaft umfasst, entscheiden kann. Dass er dabei an einen Stellenplan gebunden war, ließen die Gerichte nicht gelten. Der Stellenplan gebe ja nur die Anzahl der Arbeitsplätze vor. Alles andere konnte er selbst entscheiden.
Somit war er seinen Job gegen Zahlung einer sehr hohen Abfindung los.
Auch bei einer „vorweggenommenen Abmahnung“ kann eine weitere auf den Einzelfall bezogene Abmahnung notwendig sein. Als leitender Angestellter ist man Vorbild. Man muss sich an betriebliche Regeln halten, sonst kommt man zu Fall. Leitende Angestellte lassen sich, wenn auch gegen Zahlung einer Abfindung, leichter kündigen als „normale“ Arbeitnehmer.