Leistungsverweigerungsrecht

Leistungsverweigerung – Update zur aktuellen Lage: siehe weiter unten auf dieser Seite

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich die Pflicht, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Dies ergibt sich aus seiner Arbeitspflicht. In § 614 BGB ist geregelt, dass der Arbeitgeber die Vergütung NACH der „Leistung der Dienste“ zu entrichten hat. Sprich: Erst die Arbeit, dann das Geld. Der Arbeitnehmer muss in Vorleistung gehen.

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Das Leistungsverweigerungsrecht ist vom Zurückbehaltungsrecht abzugrenzen. Das Zurückbehaltungsrecht greift in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer, bevor er zu leisten verpflichtet ist, vom Arbeitgeber etwas fordern kann. Wenn zum Beispiel der Arbeitgeber über einen längeren Zeitraum den Lohn nicht gezahlt hat, kann der Arbeitnehmer bis zur Bezahlung seine Leistung zurück behalten. Wie das genau zu erfolgen hat, lesen Sie im Lexikonbeitrag zum Zurückbehaltungsrecht.

Foto: Seleneos / photocase.de

Das Leistungsverweigerungsrecht liegt vor, bei …

  • Verstoß gegen Gesetze durch den Arbeitnehmer, wenn er die Leistung erbringen würde. Der Arbeitnehmer kann die Arbeitsleistung verweigern, wenn er durch die Arbeitsleistung gegen Gesetze oder sonstige Pflichten (z.B. Wehrpflicht im Heimatland) verstoßen würde,
  • Verstoß des Arbeitgebers gegen Gesetze, die den Arbeitnehmer schützen sollen. Wenn der Arbeitgeber zum Beispiel gegen Beschäftigungsverbote einer Schwangeren verstößt oder gegen das Arbeitszeitgesetz, muss der Arbeitnehmer nicht leisten.
  • Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten. Beispiel: Der Betriebsrat verweigert die Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer nicht beschäftigen. Tut er es doch, kann der Betriebsrat dagegen gerichtlich vorgehen. Das ist die sogenannte kollektivrechtliche Ebene dieses Problems. Es spielt sich nur zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ab. Jedoch wirkt die fehlende Zustimmung des Betriebsrats auch in das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (individualrechtliche Ebene). Der Arbeitnehmer muss nicht leisten, wenn der Arbeitgeber mit der Annahme seiner Leistung gegen Rechte aus dem Betriebsverfassungsrecht verstößt. Daher hat der einzelne Arbeitnehmer hier ein Leistungsverweigerungsrecht. Sein Geld bekommt er dennoch.
  • Unzumutbarkeit der Leistungserbringung. Das sind die Fälle, in denen  zum Beispiel die Kinderbetreuung mit der Arbeitspflicht kollidiert. Steht keine Kinderbetreuung zur Verfügung, weil die Kita beispielsweise geschlossen hat, dann kann der Arbeitnehmer sein Kind nicht alleine lassen. Er hat dann ein Leistungsverweigerungsrecht. Dieses hat er allerdings erst dann, wenn er alles in seiner Macht stehende probiert hat, um die Betreuung sicher zu stellen.
  • Unzumutbarkeit aus Glaubens-  oder Gewissensgründen.
  • entwürdigenden Arbeitsbedingungen, z.B. wenn ein Arbeitnehmer durch Kollegen immer wieder schikaniert und gedemütigt wird.

<<CORONA – Update – 3.4.2020>>

Schulen und Kitas sind landesweit geschlossen. Dürfen Mitarbeiter*innen, die Kinder in den Kitas hatten oder Schulkinder haben, einfach daheim bleiben?

Zunächst zu der Frage, ob Mitarbeiter*innen einen Anspruch auf Freistellung haben. 

Bei Fallgestaltung, in der das Kind daheim bleibt, weil Schule oder Kita geschlossen sind, liegt kein Fall von Krankheit vor und auch kein Fall von Quarantäne vor, so dass sich aus diesen beiden Gründen kein Anspruch auf Freistellung ergibt.

  • Mitarbeiter*innen dürfen nicht „einfach so“ zu Hause bleiben. Es bedarf der Kommunikation mit dem Arbeitgeber.
  • Mitarbeiter*innen haben im Fall von Schul- und Kitaschließung keinen Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht aus eigener Krankheit und auch nicht aus „Krankheit des Kindes“, denn weder der/die Mitarbeiter*in noch das Kind sind krank.
  • Schulen und Kitas werden derzeit für viele Wochen geschlossen. Die Frage ist, ob § 616 BGB helfen kann. In 616 BGB heißt es:

„Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.“

Zum einen ist § 616 BGB in vielen Arbeitsverträgen von vorn herein ausgeschlossen worden.

Für alle Arbeitsverträge, für die § 616 BGB nicht ausgeschlossen wurde, bleiben wir zunächst nur beim Anspruch auf Arbeitsbefreiung, der sich aus dieser Vorschrift ergibt:

  • Eine klassische Verhinderung nach dieser Vorschrift ist die eigene Hochzeit, ein Begräbnis im engen Familienkreis, Pflege eines kranken Kindes (Mitarbeiter*in ist selbst gesund) u.Ä.
  • aber auch die Kollision mit anderen Pflichten sind persönliche Verhinderungsgründe. Gemeint sind damit zum Beispiel Ehrenämter wie Feuerwehr, Katastrophenschutz, ehrenamtliche Richter*innen o.Ä..

Eltern tragen die Sorge für ihre Kinder und daraus ergibt sich eine familienrechtliche Pflicht. Man könnte also sagen, eine Voraussetzung des § 616 BGB ist erfüllt.

§ 616 BGB ist jedoch schon deshalb ausgeschlossen, weil darin von einer „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ die Rede ist. Auch das ist dehnbar aber bei 10 Tagen ist Schluss.

Nun gibt es einige Meldungen in den Medien, dass man aufgrund § 616 BGB ein paar Tage daheim bleiben könne und auch weiter seinen Lohn bekomme. Ich sehe das anders und es ist unter Juristen umstritten: Die Schließung von Schulen und Kitas galt für 5 Wochen und kann sich auch noch länger hinziehen. Das ist schon von Anfang an viel zu lang, um überhaupt in den Bereich von § 616 BGB zu kommen.

Daher ergibt sich kein Anspruch auf Arbeitsbefreiung aus § 616 BGB.

  • Mitarbeiter*innen bleibt nun das Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB, wenn die Leistung der/dem Mitarbeiter*in „unter Abwägung des ihrer Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers nicht zugemutet werden kann“.

Im Klartext: Es ist abzuwägen zwischen der Verpflichtung, auf das Kind aufzupassen und der Verpflichtung, zu arbeiten.

Dieses Leistungsverweigerungsrecht muss der/dem Arbeitgeber*in gegenüber aktiv ausgeübt werden. Das Dilemma nennt man „Pflichtenkollision“: Auf der einen Seite ist die familienrechtliche Pflicht ggü. dem Kind und auf der anderen Seite ist die arbeitsrechtliche Pflicht gegenüber dem Arbeitgeber.

Die maßgebliche Vorschrift aus dem Familienrecht ist § 1626 Abs. 1 und 2 BGB, in dem es heißt:

„(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).

 (2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.“

Um ein zulässiges Leistungsverweigerungsrecht zu haben, muss sich die/der Mitarbeiter*in laut Rechtsprechung in einer unausweichlichen Zwangslage befinden. Mitarbeiter*innen müssen daher vorher alle ihnen möglichen Hebel in Bewegung gesetzt haben, um die Betreuung des Kindes sicher zu stellen. Das heißt: Wegbleiben ganz einfach mit der Begründung „Kita/Schule ist zu“ geht auf keinen Fall. Erst wenn Mitarbeiter*innen darlegen können, dass die anderweitige Betreuung des Kindes nicht möglich ist, besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, das sie von ihrer Arbeitspflicht entbindet, ohne dass sie arbeitsrechtliche Konsequenzen zu befürchten haben.

Der aktuellste Fall, den ich dazu gefunden habe, ist ein Urteil des LAG Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen: 2 Sa 299/18). Es betraf einen LKW-Fahrer, dem gekündigt worden war: Seine Frau hatte entbunden und sie hatten noch ein Kindergartenkind. Der KiGa hat aber nur einen Teil der Arbeitszeiten des LKW-Fahrers abgedeckt und die Frau war nach der Geburt mindestens für 3 Wochen bettlägerig und konnte weder das Neugeborene noch das größere Kindergartenkind versorgen. Die Fremdbetreuung durch den KiGa war auch nicht möglich und Urlaub wollte der Arbeitgeber dem LKW-Fahrer nicht geben. In seiner Not hat er dem Arbeitgeber gesagt, dass er dann zu Hause bleibe – nachdem er die Zwangslage geschildert hatte. Das hat als Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts genügt. Er durfte in diesem Fall zu Hause bleiben und die Kündigung war nicht gerechtfertigt.

  • Jetzt zu der Frage, ob im konkreten Fall landesweiter Schul-/ und Kitaschließungen ein Leistungsverweigerungsrecht besteht: Es kommt darauf an, ob sich die Mitarbeiter*innen in der oben beschriebenen Zwangslage befinden. Hier ist es leider nicht klar, ab welchem Alter man Kinder alleinlassen kann und ggf. auch muss. Bei kranken Kindern gilt: wenn sie älter sind als 12 Jahre, kann man sie allein lassen, es sei denn, die Erkrankung ist so heftig, dass aus diesem Grund die Anwesenheit einer Betreuungsperson erforderlich ist.

Bei gesunden Kindern wird man abwägen müssen, wie reif sie sind. Leider gibt es im Gesetz keine klare Grenze. § 1626 BGB gibt auch nur vage Anhaltspunkte. Dort ist davon die Rede, dass man die zunehmende Selbstständigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes, selbstständig und verantwortungsbewusst zu handeln, berücksichtigen muss.

Alle Kinder im Vorschulalter würde ich per se als betreuungspflichtig einstufen.

Grundschulkinder (6 bis 10 Jahre) sieht das schon anders aus: Für ein bis 2 Stunden kann man ggf. auch ein 7-jähriges Kind schon mal tagsüber zu Hause lassen. Wenn es größere Geschwister hat (12+), geht das unter Umständen auch länger.

Kindern ab Klasse 5 würde ich zutrauen, dass sie auch den ganzen Tag daheim bleiben können – es kommt aber immer auf das Kind an und ob ggf. noch Geschwister da sind, die für eine entweder positive oder negative Dynamik sorgen.

Eine Zwangslage kann also bei Vorschul- und Grundschulkindern vorkommen.

In der aktuellen Situation kommt dabei noch hinzu, dass ältere Verwandte als Betreuungspersonen nicht in Frage kommen und dass Eltern schulpflichtiger Kinder dazu aufgefordert sind, mit ihren Kindern zu Hause Schulaufgaben zu bearbeiten. Auch hier ist eine Abwägung notwendig: Kann man das Kind mit Aufgaben versorgen und dann in die Arbeit gehen? 

Was ist, wenn 2 Elternteile vorhanden sind, die sich die Betreuung teilen können? Entsteht da schon eine Zwangslage, einfach weil ein Elternteil mehr verdient? Ich meine nein. Wenn beide Eltern rein faktisch in der Lage sind, sich die Betreuung zu teilen, wird man das als Arbeitgeber*in auch verlangen können, so dass der Schaden sich wenigstens verteilt.

Man wird also in jedem Fall einzeln schauen müssen, ob tatsächlich ein Leistungsverweigerungsrecht vorliegt und man wird von Mitarbeiter*innen eine große Portion an Kreativität und Mitwirkung verlangen können.

Was bedeutet das für unsere Fälle von Schul-/ und Kitaschließungen:

  • Wenn die Mitarbeiter*innen einfach zu Hause bleiben, verstoßen sie gegen den Arbeitsvertrag und Arbeitgeber*innen wären zur Abmahnung und, bei beharrlicher Arbeitsverweigerung, auch zur Kündigung berechtigt.
  • Wenn Mitarbeiter*innen einen Sachverhalt vortragen, der sie zur Leistungsverweigerung berechtigt, dürfen sie daheimbleiben. Doch hier eine sehr sorgfältige Abwägung vorzunehmen. Bitte ziehen Sie vorher eine/n Anwalt/Anwältin zu Rate.
  • Einigungslösung: Auch Arbeitgeber*innen sind aufgefordert, kreativ auf die jeweiligen Fälle einzugehen. Was Sie als Arbeitgeber*innen jetzt nicht brauchen, sind Mitarbeiter*innen, die durch Orga-Stress zusätzlich geschwächt werden.
  • Wenn eine Zwangslage besteht, dann besteht auch das Leistungsverweigerungsrecht solange, wie die Zwangslageanhält.

Leistungsverweigerungsrecht und Vergütungsanspruch

Der Arbeitnehmer behält nicht immer seinen Lohnanspruch bei berechtigter Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts. Die Vergütung bekommt er nur dann weiter gezahlt, wenn die Unterbrechung der Arbeit nur von sehr kurzer Dauer war, oder der Arbeitgeber für die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts verantwortlich ist.

Verantwortlich sein kann der Arbeitgeber aber nur dann, wenn er auch wusste, dass er handeln müsste. So kann er nur dann Schikanen von Kollegen abstellen bzw. darauf reagieren, wenn er davon auch weiß. Es geht daher nicht an, dass der Arbeitnehmer sich immer wieder piesacken lässt, dem Arbeitgeber aber nichts davon mitteilt und dann gegenüber dem Arbeitgeber auf sein Leistungsverweigerungsrecht pocht.

<<CORONA – Update – 3.4.2020>>

Wenn § 616 BGB nicht anwendbar ist und auch das Infektionsschutzgesetz wegen fehlender Quarantäne nicht greift, wenn die Mitarbeiter*innen nicht selbst krank sind, dann gibt es beim verbleibenden Leistungsverweigerungsrecht auch keinen Vergütungsanspruch.

ABER: Es gibt unter bestimmten Voraussetzungen doch einen Vergütungsanspruch nach dem Infektionsschutzgesetz, denn zum 30.3.2020 wurde § 56b InfSG wie folgt geändert und ergänzt (Hervorhebungen von mir):

„(1a) Werden Einrichtungen zur Betreuung von Kindern oder Schulen von der zuständigen Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen oder übertragbaren Krankheiten auf Grund dieses Gesetzes vorübergehend geschlossen oder deren Betreten untersagt und müssen erwerbstätige Sorgeberechtigte von Kindern, die das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder behindert und auf Hilfe angewiesen sind, in diesem Zeitraum die Kinder selbst betreuen, weil sie keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit sicherstellen können, und erleiden sie dadurch einen Verdienstausfall, erhalten sie eine Entschädigung in Geld. Anspruchsberechtigte haben gegenüber der zuständigen Behörde, auf Verlangen des Arbeitgebers auch diesem gegenüber, darzulegen, dass sie in diesem Zeitraum keine zumutbare Betreuungsmöglichkeit für das Kind sicherstellen können. Ein Anspruch besteht nicht, soweit eine Schließung ohnehin wegen der Schulferien erfolgen würde. Im Fall, dass das Kind in Vollzeitpflege nach § 33 des Achten Buches Sozialgesetzbuch in den Haushalt aufgenommen wurde, steht der Anspruch auf Entschädigung anstelle der Sorgeberechtigten den Pflegeeltern zu.

(2) Die Entschädigung bemisst sich nach dem Verdienstausfall. Für die ersten sechs Wochen wird sie in Höhe des Verdienstausfalls gewährt. Vom Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes nach § 47 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt.  Im Fall des Absatzes 1a wird die Entschädigung abweichend von den Sätzen 2 und 3 in Höhe von 67 Prozent des dem erwerbstätigen Sorgeberechtigten entstandenen Verdienstausfalls für längstens sechs Wochen gewährt; für einen vollen Monat wird höchstens ein Betrag von 2.016 Euro gewährt.“

Hier wird sich auch die Frage stellen was eine zumutbare Betreuungsmöglichkeit ist. Aus meiner Sicht muss man sich dazu an der bisherigen Rechtsprechung zum Leistungsverweigerungsrecht orientieren. Dort ist zu den Voraussetzungen der „Zwangslage“ schon Einges ausgeführt worden – siehe mein Beispiel des LAG RP mit dem LKW-Fahrer.

Arbeitgeber*innen nehmen keine Rücksicht auf die Schließung von Schule und Kita. Können Mitarbeiter*innen „krank machen“?

„Krank machen“, also gar nicht krank sein und behaupten, man sei krank, ist Entgeltfortzahlungsbetrug. Dies kann zur fristlosen Kündigung berechtigen, wenn der Entgeltfortzahlungsbetrug nachgewiesen ist. Das ist dann schwer, wenn der/die Mitarbeiter*in sich vorher nicht geäußert hat und dann eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann man nur sehr schwer erschüttern. Sollten Mitarbeiter*innen aber schon geäußert haben „wenn,….., dann bin ich eben krank“, ist dies ein Anhaltspunkt, der an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zweifeln lässt. Ich rate daher auch hier beiden Seiten zu Besonnenheit und Kooperationen. Es gibt Lösungen. Immer.

Dürfen Mitarbeiter*innen aus Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus einfach zu Hause bleiben? Wer bezahlt das?

Einfach zu Hause bleiben geht nicht. Wenn Mitarbeiter*innen, ohne behördlich verordnete Betriebsschließung und nur aus Angst vor Ansteckung zu Hause bleiben wollen, bedarf das der Zustimmung durch den Arbeitgeber (Urlaub, Überstundenabbau, unbezahlte Freistellung). Bleiben Mitarbeiter*innen einfach so zu Hause, berechtigt das Arbeitgeber*innen zur Abmahnung bzw. sogar zur Kündigung.

Haben Mitarbeiter*innen einen Anspruch auf Arbeit im Home Office, wenn Schulen und Kitas geschlossen werden und die Arbeit im Home Office von der Art der Arbeit her grundsätzlich möglich ist?

Nein. Einen Anspruch auf Home Office gibt es aus dem Gesetz nicht. Das ist Vereinbarungssache.

Sie als Arbeitgeber*in haben Angst, dass Ihre Mitarbeiter*innen das Virus in den Betrieb einschleppen. Sie stellen daher Mitarbeiter*innen vorsorglich frei. Dürfen Sie das und wenn ja, wer bezahlt das?

Hier fallen wieder die Freistellung und die Bezahlung auseinander. Arbeitnehmer*innen haben einen Beschäftigungsanspruch. Einfach so freistellen aus einer diffusen Angst heraus, ist nicht zulässig. Es müssen konkrete, sachliche Verdachtsmomente vorliegen, die eine Freistellung rechtfertigen.

Wenn der Arbeitgeber freistellt, muss er dann auch die Vergütung weiterbezahlen.

Mitarbeiter*innen haben sich mit Corona infiziert. Wie sieht es aus mit Freistellung und Bezahlung?

In dem Fall haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz.

Wenn jedoch die Behörde (in BW das Gesundheitsamt) ein berufliches Tätigkeitsverbot nach § 31 Infektionsschutzgesetz anordnen, haben Arbeitgeber*innen nach § 56 Infektionsschutzgesetz einen Anspruch auf Erstattung des Entgeltfortzahlungsbetrages. Dazu muss ein Antrag gestellt werden.

Mitarbeiter*innen sind mit einem positiv getesteten Menschen in Kontakt gekommen und werden behördlich unter Quarantäne gesetzt. Wie sieht es aus mit Freistellung und Bezahlung?

Besteht ein Verdacht auf Ansteckung und wurde behördliche Quarantäne (behördliches Beschäftigungsverbot) für die Verdachtsfälle angeordnet, besteht auch hier ein Entschädigungsanspruch für den Verdienstausfall nach § 56 Infektionsschutzgesetz.

Eigentlich ist es so gedacht, dass Arbeitgeber*innen ggü. Mitarbeiter*innen in Vorleistung gehen und sich dann auf Antrag das Geld von der Behörde zurückholen. Sollten Arbeitgeber*innen nicht in Vorleistung gehen, können Mitarbeiter*innen auch selbst die Zahlung an sich beantragen.

Die Behörde schließt Ihren Betrieb wegen der Corona-Krise vorsorglich (z.B. eine Kita oder Schule). Dürfen Sie Ihr Personal auch nach Hause schicken? Wenn ja, wer bezahlt die Vergütung?

Hier kommt es darauf an, ob die behördliche Schließungsanordnung auch das Personal betrifft. Sollte es sich um eine solche Schließungsanordnung nach dem Infektionsschutzgesetz handeln, muss das Personal nach Hause geschickt werden und es besteht ein Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Wenn sich die behördliche Anordnung nicht auf das Personal erstreckt, besteht keine Maßnahme nach dem Infektionsschutzgesetz und die Freistellung erfolgt auf Kosten der Arbeitgeber*innen.

Welche Schutzmaßnahmen zur Prävention muss der/die Arbeitgeber*in treffen?

Hier gelten die allgemeinen Hinweise zum Gesundheitsschutz, wie Hände waschen, für Desinfektionsmittel sorgen, Abstand halten.

Inzwischen stellen sich auch Fragen, ob Arbeitgeber selbstinitiierte Schutzmaßnahmen dulden müssen, wie zum Beispiel Mundschutz bei Tätigkeiten mit Publikumsverkehr. Hier wird man im Einzelfall abwägen müssen, ob diese individuelle Schutzmaßnahme sinnvoll und/oder notwendig ist und ob sie dem Arbeitgeber zumutbar ist.

Wie wird mit Mitarbeiter*innen umgegangen, die aus behördlich eingestuften Risikogebieten zurückkehren?

Welche Offenbarungspflichten haben diese Mitarbeiter*innen?

Ich bin der Ansicht, dass sich hier eine Offenbarungspflicht als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag ergibt. Arbeitnehmer sind dazu gehalten, nicht selbst als Gefahr zu fungieren.

Welche Fragerechte hat der/die Arbeitgeber*in?

Arbeitgeber*innen haben hier ein Fragerecht. Der Datenschutz des Einzelnen tritt hinter den Gesundheitsschutz Vieler zurück.

Wie verhält es sich mit Freistellungsrecht/pflicht und Bezahlung?

Bei einer Freistellung träfe Arbeitgeber*innen die Vergütungspflicht, wenn es kein behördliches Beschäftigungsverbot nach dem Infektionsschutzgesetz gibt.

Dürfen Arbeitgeber*innen Dienstreisen und Risikogebiete anordnen?

Wenn es Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes gibt, ist eine Anweisung, sich in ein solches Gebiet zu begeben unzulässig und die Ausführung kann verweigert werden. Im Einzelfall sollte dennoch eine anwaltliche Prüfung durchgeführt werden und ggf. gibt es auch Gebiete, die vom Auswärtigen Amt noch nicht als Risikogebiet eingeordnet wurden, die für den Betroffenen aber zu einem individuellen Risiko werden können.

Sie sind Arbeitgeber*in. Ihre Lieferkette ist zusammengebrochen und Sie bekommen kein Material. Müssen Sie weiterhin das Gehalt bezahlen?

Ja. Das Betriebsrisiko tragen Arbeitgeber*innen.

Wie funktioniert das neue Kurzarbeitergeld?

  • Mindestens 10% der Beschäftigten eines Betriebes sind wegen schwieriger wirtschaftlicher Entwicklungen oder wegen unvorhergesehener Ereignisse von erheblichem Arbeitsausfall betroffen (anstatt bisher 1/3 der beschäftigten)
  • Epidemie ist ein solches Ereignis
  • Bundesagentur für Arbeit übernimmt auch die Beiträge zur Sozialversicherung komplett (anstatt bisher anteilig)
  • 60 % des Nettolohns 67% bei Arbeitnehmer*innen mit Kind werden erstattet
  • Bis zu 12 Monate
  • Hier finden Sie ausführliche Infos der Agentur für Arbeit zur Kurzarbeit: 

Was ist, wenn der ÖPNV eingestellt wird? Muss man dann zur Arbeit gehen oder ist dies ein Grund, der Arbeit fern zu bleiben?

Nein. Arbeitnehmer*innen tragen das Wegerisiko, so wie Arbeitgeber*innen das Betriebsrisiko tragen. Man muss sich selbst kümmern und auch Taxifahrten sind dabei zumutbar.

Einigungen – kreativ

Ich gehe davon aus, dass diese Krise auch zu positiven Lösungen und Effekten führen wird. Wir sind alle kreativ. Manchmal hilft auch ein Blick von außen und ein Brainstorming, um eine bisher noch nicht gedachte Lösung zu finden.

Dokumentation und Prüfung des Leistungsverweigerungsrechts

Wichtig ist, dass der Arbeitnehmer die Gründe, die ihn zur Leistungsverweigerung veranlassen, darlegen und beweisen muss. Vor der Ausübung des Leistungsverweigerungsrecht ist unbedingt im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob ein Leistungsverweigerungsrecht überhaupt besteht. Der Schuss kann sonst leicht nach hinten losgehen und der Arbeitnehmer riskiert seinen Job und Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers, wenn sich herausstellt, dass das Leistungsverweigerungsrecht nicht bestand.

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