17 Feb
2019

Kind krank – Krank machen = Job weg!

Eine empörte Leserin dieses Magazins schrieb mir, dass in manchen Internetforen der Rat erteilt werde, sich krankschreiben zu lassen („krank zu machen“), wenn das Kind krank ist und die Krankenpflegetage nach § 45 SGB V schon aufgebraucht sind. Das raten sogar angeblich manche Betriebsräte, wie ich diesem Forum selbst entnommen habe.


Als Mutter von zwei Kindern kann ich die Sorgen der Eltern verstehen, die kranke Kinder zu betreuen haben. Jedoch muss man sich fragen, ob man das eigene Problem ganz selbstverständlich zu dem Problem eines anderen (Arbeitgeber) machen darf und somit sogar einen das Arbeitsverhältnis gefährdenden Betrug begeht.

Es stellt sich also die Frage, ob es rechtens ist, wenn ein Arbeitnehmer sich krank meldet, weil er ein krankes Kind pflegen muss und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom Arbeitgeber bezieht, obwohl er selbst gar nicht krank ist.

Ein Arbeitnehmer hat für die Pflege eines kranken Kindes keinen Entgeltfortzahlungsanspruch aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz. Dort ist nur die eigene Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geregelt. Wenn ein Arbeitnehmer „krank macht“, also gar nicht krank ist, dann begeht er einen Entgeltfortzahlungsbetrug und riskiert eine verhaltensbedingte, ggf. sogar fristlose Kündigung. Der Rat im Internetforum, sich einfach krank zu melden, ist also ziemlich gefährlich.

Die gesetzliche Regelung sieht vor, dass zunächst der Arbeitgeber einspringen muss, wenn ein Arbeitnehmer wegen der Pflege eines kranken Kindes der Arbeit fernbleiben muss. § 616 BGB liefert hierfür sowohl den Freistellungsanspruch als auch den Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung. In § 616 BGB heißt es:

Der zur Dienstleistung Verpflichtete wird des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Er muss sich jedoch den Betrag anrechnen lassen, welcher ihm für die Zeit der Verhinderung aus einer auf Grund gesetzlicher Verpflichtung bestehenden Kranken- oder Unfallversicherung zukommt.“

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ bei der Erkrankung von Kindern 5 Tage am Stück sind.

Ist das Kind länger krank, greift § 45 SGB V und verschafft weitere 5 Tage Freistellung und Krankenpflegegeld. In § 45 SGB V heißt es:

§ 45 Krankengeld bei Erkrankung des Kindes

(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis (Attest) erforderlich ist, daß sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist. § 10 Abs. 4 und § 44 Absatz 2 gelten.

(2) Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 besteht in jedem Kalenderjahr für jedes Kind längstens für 10 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte längstens für 20 Arbeitstage. Der Anspruch nach Satz 1 besteht für Versicherte für nicht mehr als 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte für nicht mehr als 50 Arbeitstage je Kalenderjahr.

(3) Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 haben für die Dauer dieses Anspruchs gegen ihren Arbeitgeber Anspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung, soweit nicht aus dem gleichen Grund Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht. Wird der Freistellungsanspruch nach Satz 1 geltend gemacht, bevor die Krankenkasse ihre Leistungsverpflichtung nach Absatz 1 anerkannt hat, und sind die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt, ist der Arbeitgeber berechtigt, die gewährte Freistellung von der Arbeitsleistung auf einen späteren Freistellungsanspruch zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes anzurechnen. Der Freistellungsanspruch nach Satz 1 kann nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden.

(4) Versicherte haben ferner Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, sofern das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet,

a)

die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat,

b)

bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht ist und

c)

die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt.

Der Anspruch besteht nur für ein Elternteil. Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3 gelten entsprechend.

(5) Anspruch auf unbezahlte Freistellung nach den Absätzen 3 und 4 haben auch Arbeitnehmer, die nicht Versicherte mit Anspruch auf Krankengeld nach Absatz 1 sind.

Im § 45 Abs. 2 SGB V ist zwar eine Höhe von 10 Tage pro Elternteil (bzw. 20 Tage für Alleinerziehende) die Rede, wenn aber der Arbeitnehmer schon 5 Tage über § 616 BGB bekommen hat, dann werden diese angerechnet. Wenn das Kind nun länger als 10 Tage am Stück krank ist, dann hat der Arbeitnehmer trotzdem die Möglichkeit zur Pflege des Kindes. Was den Anspruch auf Freistellung angeht, ist der Arbeitnehmer also nicht in der Bredouille – weder gegenüber seinem Arbeitgeber, noch gegenüber der Krankenkasse bei der er krankenversichert ist. Der Arbeitnehmer hat nämlich ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB. Darin heißt es:

„Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.“

Der Arbeitnehmer bekommt dann aber kein Geld.

Wenn nun die 10 Tage aus § 45 SGB V aufgebraucht sind und auch der andere Elternteil nichts mehr übrig hat, dann könnte bei einer erneuten Erkrankung wieder § 616 BGB greifen, weil der nämlich mehrmals im Jahr angewendet werden kann. Wenn aber § 616 BGB vertraglich ausgeschlossen ist, was möglich ist und oft gemacht wird, oder wenn eben die Krankheit länger dauert als 5 Tage und wenn dann auch noch die Tage nach § 45 SGB V aufgebraucht sind, dann bleibt nur noch die Leistungsverweigerung nach § 275 Abs. 3 BGB, bei der man keine Bezahlung, egal in welcher Höhe oder wieviel Prozent des Gehalts oder einer Fortzahlung, bekommen kann.

Ergo:

Es kann durchaus sein, dass Eltern unbezahlt, also ohne jegliche Fortzahlung und einer bestimmten Höhe (Prozent) vom Gehalt, zu Hause bleiben müssen.

„Krank machen“ ist definitiv keine Alternative zur gesetzlich garantierten unbezahlten Freistellung. Der Arbeitsplatz steht dabei auf dem Spiel, denn man widersetzt sich dem Arbeitsvertrag, ggf. Tarifvertrag und der Krankenkasse, bei der man krankenversichert ist.

Man darf dabei auch nicht vergessen, dass man in vielen Fällen auch mit dem Arbeitgeber reden kann oder auch den Betriebsrat zum Gespräch bitten kann, um eine vorschnelle Kündigung durch den Arbeitgeber vorzubeugen. Es sind zahlreiche Möglichkeiten denkbar, die Arbeitnehmer ggf. auch vor dem Unterschreiben des Arbeitsvertrags mit dem Arbeitgeber schriftlich vereinbaren können: Überstundenabbau; Minusstundenaufbau, die man dann in später wieder abarbeitet; Urlaub nehmen; temporäres home office etc. Auch der Betriebsrat des Unternehmens kann diese alternativen Möglichkeiten zur Betreuung des Kindes im Krankheitsfall individuell vereinbaren und dem Arbeitgeber für einen Arbeitsvertrag vorschlagen. Das ein Betriebsrat diese Sonderregelungen für den Tarifvertrag vorschlägt ist ungewöhnlich, da der Tarifvertrag seine ganz eigenen Regelungen hat. Aber das ist wieder ein anderer Fall.

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Familie und Beruf

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