27 Jun
2017

Beschäftigungsanspruch im Arbeitsverhältnis

Der Beschäftigungsanspruch im Arbeitsverhältnis ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Er wird oft unterschätzt. Vor allem von Arbeitgebern. Ein aktuelles Urteil des LAG Rheinland-Pfalz (14.3.2017 8 Sa 388/16) stellt plastisch dar, was Arbeitgeber zu beachten haben, wenn sie den Arbeitnehmer suspendieren möchten.

Im öffentlichen Dienst ist es besonders schwer, einem Arbeitnehmer zu kündigen. Nach 15 Jahren Betriebszugehörigkeit und einem Lebensalter jenseits der 40 sind Arbeitnehmer nur noch aus wichtigem Grund kündbar. So steht es auch im § 34 Abs. 2 TVöD. Wenn der Arbeitnehmer dann auch noch schwerbehindert ist, scheint eine Kündigung oft unmöglich.

Aus meiner Erfahrung in der Beratung und Vertretung öffentlicher Arbeitgeber weiß ist, dass dies schon zu manchem grauen Haar geführt hat. Dazu kommt es, wenn sich ein Mitarbeiter als „intern schwer vermittelbar“ herausstellt und man keinen geeigneten Job für die betroffene Person findet. So war es in dem Fall, den das LAG RP zu entscheiden hatte auch.

Beschäftigungsanspruch im Arbeitsverhältnis – Der Fall

Die Klägerin war 59 Jahre und zu 50 % schwerbehindert. Sie war durch Betriebsübergang im Jahr 2002 in den Dienst der beklagten Stadt gekommen. Die Frau war in EG 5 eingruppiert. Seit Beginn der Tätigkeit dort hat man versucht, sie an 18 verschiedenen Stellen unterzubringen. Eine der Stellen war die Bibliothek. Nach 4 Wochen Einarbeitungszeit hatten die verzweifelten Vorgesetzten der Bibliothek um Versetzung der Frau gebeten, weil es ihr selbst nach so langer Zeit nicht gelungen war, Bücher richtig einzusortieren. Einfachste Tätigkeiten gelangen ihr nicht.

Als sie bei der Poststelle eingeteilt wurde, hatte sie eine so hohe Fehlerquote (Post falsch sortiert), dass man sie auch dort wieder loswerden wollte. Hinzu kam, dass sie sich auch noch patzig verhielt. Sie musste ständig kontrolliert werden, da der Arbeitgeber ansonsten noch mehr Fehler befürchtete. Man stellte sie im Jahr 2013 für mehrere Monate frei und nahm sie dann ins Personalwesen auf. Dort bekam sie wegen Fehlverhaltens eine Abmahnung.

Der Personalleiter fragte bei seinen Mitarbeitern, ob diese nicht Arbeiten hätten, die man der Frau übertragen könne. Dies wurde „abschlägig beschieden“. Der Arbeitgeber sah sich in der Klemme und stellte die Frau unter Fortzahlung der Vergütung frei.

Sie klagte zum einen auf Beschäftigung als Verwaltungsangestellte mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung und hilfsweise auf arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung entsprechend der Eingruppierung nach EG 5 zu beschäftigen. Der Arbeitgeber beantragte die Klageabweisung.

Das LAG RP entschied:

  • Die Arbeitnehmerin hat keinen Anspruch als Verwaltungsangestellte mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung beschäftigt zu werden.
  • Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, sie mit Tätigkeiten der EG 5 zu beschäftigen.

Beschäftigungsanspruch im Arbeitsverhältnis – Die Begründung

  • Der Arbeitnehmer hat nicht nur die Pflicht zu arbeiten. Dem gegenüber hat er auch das Recht dazu. Der Arbeitgeber hat somit auch die Pflicht, den Arbeitnehmer zu beschäftigen.
  • Verfassungsrechtlich steckt dass Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers dahinter. Es ist keinem Menschen zuzumuten, bei voller Bezahlung daheim Däumchen zu drehen und nichts zu tun. Was vielleicht Manchem als erstrebenswert anmuten mag ist es nicht wirklich. Freigestellt zu werden bedeutet den Verlust von Routine, Kenntnissen, Sozialkontakten, Selbstwertgefühl etc.
  • Daher ist die einseitige Freistellung erst einmal unzulässig. Ausnahmsweise kann sie zulässig sein, wenn bei einer sorgfältigen Interessenabwägung die Interessen des Arbeitgebers überwiegen.
  • Die Trauben hängen hoch für den Arbeitgeber. Vorliegend konnte er zunächst punkten, weil die Klägerin nicht darlegen konnte, woraus sie ihren Anspruch herleitet, als „Verwaltungsangestellte mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung“ beschäftigt zu werden. Sie war ausgebildete Krankenschwester, hatte keine Verwaltungsausbildung und studierte erst seit 2017 BWL.
  • Doch dann verließ den Arbeitgeber das Glück. Er muss die Frau beschäftigen nach EG 5. Das Recht auf Beschäftigung ist so groß und die Hürde so hoch, dass ein überwiegendes Schutzinteresse des Arbeitgebers nur schwer darstellbar ist. Als Beispiele führt das LAG an: Arbeitnehmer wird bald zur Konkurrenz abwandern; Wegfall der Vertrauensgrundlage oder Auftragsmangel. Diese Qualität hatte das Verhalten und die Performance der Arbeitnehmerin noch noch angenommen.
  • Das LAG verwies zudem darauf, dass der Arbeitgeber aufgrund der Schwerbehinderung der Klägerin eine besondere Fürsorgepflicht habe.
  • Das Fehlverhalten der Klägerin hätte abgemahnt werden können. Der Arbeitgeber hätte in Richtung Kündigung marschieren können. Er hätte auch ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchfüjhren können, in dem die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiterin hätte ermittelt werden können. All das hat der Arbeitgeber nicht getan. Er hat sie einfach freigestellt.
  • Das Argument des Arbeitgebers „Sie sei wirtschaftlich ohne Nutzen“ verfing nicht. Das LAG hielt dem entgegen, dass sie auch ohne Nutzen ist, wenn sie bei voller Bezahlung daheim bleibt.

Fazit

Einfach mal freistellen ist kein probates Mittel bei „schwierigen Mitarbeitern“. Ich kann die Verzweiflung des Arbeitgebers durchaus nachvollziehen. Doch ist hier eine Strategie mit mehreren möglichen Ausgängen erforderlich. Und ein langer Atem. Mir ist bekannt, dass gerade im öffentlichen Dienst nicht so gern von Abmahnungen Gebrauch gemacht wird. Jedoch sind diese (fast immer) zwingende Voraussetzung für verhaltensbedingte Kündigungen bzw. für Verhaltensänderungen. Ein Außenstehender kann da oft viel Klarheit bringen.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Allgemein

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