28 Okt
2017

Sexuelle Belästigung – Ein Dauerbrenner

Das Empör-Thema „Sexuelle Belästigung“ in den Medien

Diese Woche bekam ich einen Anruf vom Fernsehen. Ich sollte sagen, ob sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zugenommen habe oder nicht. Wie immer wenn Journalisten sich melden, ging es dabei natürlich auch darum, Fälle zu präsentieren. Am besten sollte ich Mandantinnen vor die Linse zerren. Ich bin sauer. Es sollen „Opfer“ präsentiert werden. Für mich ist das ein „zum Fraß vorwerfen“. Das Thema sexuelle Belästigung ist vielschichtig und es ist nicht erforderlich, dass Fälle im Detail wieder und wieder geschildert werden. Wozu bitte soll dass gut sein? Einer nicht kontrollierbaren Masse an Menschen muss man nicht einen Film in den Kopf setzen, um die juristischen und individuell-menschlichen Grenzen in diesen Fällen auszuloten.

Aufklärung oder Ausschlachtung?

Ich weiß, dass viele Journalistinnen und Journalisten aufklären wollen und müssen. Sie möchten daher so authentisch wie möglich berichten. Manche wollen sicher auch die Welt ein bisschen besser machen, indem sie über solche Missstände berichten. Doch welche Motive stecken noch dahinter, wenn Betroffene präsentiert werden, die das Etikett „Opfer“ bekommen und lang und breit ihren Fall schildern?

Meine Erfahrung mit Menschen, die sich „nur“ der Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung stellen müssen und ihren Fall in allen Details schildern müssen ist die: Sie schämen sich. Ja, es ist völlig paradox und kaum zum aushalten aber es schämt sich der/die Betroffene und nicht der Täter/die Täterin!

Opfer oder Betroffene

Merken Sie was? Ich spreche von „Betroffenen“ und nicht von „Opfern“. Ich bin nicht nur Anwältin sondern auch NLP-Master und Business Coach. Ich habe mich sehr viel damit beschäftigt, wie wir mit Sprache uns selbst und andere „programmieren“ und auch manipulieren können. Das funktioniert in positiver Hinsicht und auch in negativer Hinsicht. Wenn ich mich selbst als „Opfer“ sehe oder einen anderen als „Opfer“ darstelle, dann bringe ich diese Person in eine schwache Position. Ich schränke damit den Handlungsspielraum dieser Person ein. Mein Ziel ist es aber, jemandem, dem so etwas Schlimmes passiert ist, so schnell wie möglich seine Handlungsfähigkeit zurück zu geben.  Das gelingt aber nicht, wenn ich diesen Menschen wieder und wieder das Geschehene erleben lasse und, das ist dann der Gipfel, auch immer wieder als hilfloses, kleines Opfer bezeichne. Ich weiß, dass dies unser Sprachgebrauch ist. Wir sprechen von Tätern und von Opfern. Noch.

Der erste Schritt zu mehr Handlungsspielraum

Wenn ich jemanden als „Betroffenen“ bezeichne, dann hat dies etwas mehr Distanz zur Tat. Ich gebe dieser Person dann die Möglichkeit, sich von dem Geschehenen zu entfernen und von außen drauf zu schauen. Das ändert ganz erheblich die Perspektive. Dieser Mensch kann sich dann nämlich umschauen und Handlungsoptionen wahrnehmen. Daher möchte ich nicht, dass das Thema sexuelle Belästigung unter Hinzuziehung von Betroffenen in den Medien ausgeschlachtet wird. Die Betroffenen haben am wenigsten davon.

Ein Gerichtsprozess genügt vollauf. Das ist meist schon die Hölle. Es ist ein erneutes Durchleben, wenn in Schriftsätzen das gesamte Thema aufgearbeitet und auch bei Gericht nochmals mündlich vorgetragen wird. Es wird Gegenrede geben, man wird die Glaubwürdigkeit anzweifeln etc. Das alles ist hart und es kann dazu dienen, die Sache abzuhaken und durchzustehen, wenn der/die Betroffene emotional gut „eingepackt“ und begleitet wird. Ich finde, eine detailreiche Schilderung in den Medien braucht es dann nicht auch noch.

Foto: Seleneos / photocase.de

Die juristischen Fakten zu diesem Thema können Sie in meinem Lexikon nachlesen. Mir geht es hier  um die praktische Anwendung:

Wie verhalte ich mich richtig?

Sexuelle Belästigung,  Diskriminierung, Mobbing ist ganz leicht zu umschiffen. Es muss wirklich nicht sein. Ich darf mich fragen:

  • Was ist meine wirklich tief empfundene innere Haltung zu „Dir“?
  • Sehe ich Dich als Objekt oder als Individuum mit eigenen Rechten?
  • Kann ich akzeptieren, dass meine Freiheit immer nur bis an Deine Grenze reicht?
  • Erkenne ich Deine Grenze? Habe ich meine Sinne so geschärft, dass ich Dich wahrnehmen kann und erkenne (sehen, höre, spüre)?
  • Bin ich bereit, auf Dein Feedback zu meinem Verhalten respektvoll und wertschätzend zu reagieren?
  • Akzeptiere, respektiere und wertschätze ich Dich in Deinem „so sein“, in Deinem „anders sein“?
  • usw.

Es geht also darum, nicht nur mein Hirn einzuschalten, wenn ich mit anderen verbal und/oder non-verbal kommuniziere. Ich darf meine innere Haltung zu meinem Gegenüber überprüfen. Wie ist mein Frauenbild, mein Männerbild? Wie sehe ich Kinder? Ich darf all meine Sinne schärfen für den Anderen. Mit ein bisschen Übung geht das schnell ganz prima. Und dann ist auf einmal leicht.

Der Mensch als Objekt in den Medien

Wir sind umgeben von Werbung und öffentlichen Darstellungen, in denen Menschen, sehr oft Frauen, als Objekt herhalten müssen. Nackte Haut ist ein Kassenschlager. Auch da, wo es gar nicht hin passt. Vor meiner Haustür an der Bushaltestelle hängt zum Beispiel ein riesiges Plakat mit einer Zigarettenwerbung. Als ob das nicht schon absurd und schlimm genug ist, sind 2 junge Frauen in Unterwäsche darauf abgebildet.

WHY? Was hat das damit zu tun? Wieso müssen diese beiden Frauen halbnackt für ein ungesundes Hobby posieren. „Sie werden doch bezahlt!“, „Sie haben es doch so gewollt!“ Sicher. Ganz bestimmt. Doch wenn uns nicht einmal auffällt, wenn wir zum Objekt gemacht werden und andere Menschen zum Objekt machen, ist doch etwas ganz krank in unserer Gesellschaft. Ich finde es so heuschlerisch, wenn auf der einen Seite Menschen in der Öffentlichkeit auf unterschiedlichste Art und Weise zum (Sex)-Objekt gemacht werden und man sich andererseits über sexuelle Belästigung und ein völlig bescheuertes Frauenbild resp. Menschenbild aufregt. Das wiederum regt mich auf!

Denn wenn sich unser Menschenbild wirklich dahin entwickelt, dass wir alle einander als Individuen mit Grenzen, gleichen Rechten, unterschiedlichsten Facetten wahrnehmen und verstehen, dann gibt es keine sexuelle Belästigung mehr und auch keine Diskriminierung. Und wenn wir uns alle am Riemen reißen, dann schaffen wir das auch ;-)

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Allgemein

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