15 Jan
2016

Sexuelle Belästigung – Glatteis auch für Führungskräfte

Sexuelle Belästigung, ob nun am Arbeitsplatz oder anderswo ist immer ein schwieriges und schambesetztes Thema. Viele Führungskräfte und auch deren Arbeitgeber fragen mich, wo genau die Grenze zu ziehen ist. Was ist erlaubt und was nicht? Welche Regeln gelten im guten Umgang miteinander? Die Antwort ist wieder einmal ein beherztes: „Das kommt darauf an.“ Zum Glück gibt es seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eine Definition. In § 3 Abs. 4 AGG, heißt es:

„…Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung ……, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird….“ (Anm. d. Verf.: Fettdruck von mir)

Eine einmalige Handlung oder Bemerkung genügt. Am sichersten ist man also mit Förmlichkeit, Distanz (sowohl körperlich als auch verbal) und dem, was landläufig als „gute Manieren“ gilt. Also keine Zweideutigkeiten. Das jedoch lässt sich oft nicht bewerkstelligen. In vielen Betrieben herrscht ein flapsiger Umgangston. Die Kolleginnen und Kollegen necken sich, schäkern, flirten usw. Auch Umarmungen oder derbe Witze bzw. derbe und durchaus sexuell bestimmte Aufforderungen können ein Arbeitsumfeld prägen. Woran merken Sie also als Führungskraft oder Arbeitgeber, ob das „noch normal“ ist oder ob die Grenze zur sexuellen Belästigung schon überschritten wurde?

Das Gesetz hilft ein wenig mit dem Begriff „unerwünscht“. Was unerwünscht ist, bestimmt sich jedoch nicht allein aus dem Blickwinkel des Handelnden. Der könnte ja ein ungehobelter, vollkommen empathiefreier Klotz sein, der nicht merkt, dass sein Witz, bei der jungen Kollegin gar nicht ankommt. Blickwinkel kann aber auch nicht die Sichtweise von Moni Mimose sein, für die schon ein ehrliches „Sie sehen gut aus, waren Sie beim Friseur?“ zur sexuellen Belästigung zählt. Es ist auch nicht erforderlich, dass das „Opfer“ dem „Täter“ erst mal sagt, dass es ein bestimmtes Verhalten nicht wünscht. Sonst würden diejenigen, die sich nicht trauen etwas zu sagen, benachteiligt.

Maßstab ist, wie so oft in der Juristerei, der objektive Dritte, den ich übrigens gern mal kennen lernen würde. Dann könnte er mir bei einem Bierchen erläutern, was denn aus seiner Sicht als sexuelle Belästigung zu werten ist.

Wahrscheinlich würde er mir sagen, dass ich mir das konkrete Arbeitsumfeld anschauen soll. Er würde zu bedenken geben, dass auf dem Bau ein anderer Umgangston herrscht als in einer Bank. Dann würde er mir raten, genau auf den im Team von mutmaßlichem Täter und mutmaßlichem Opfer als „normal“ angesehenen Umgangston zu achten:

  • Erzählen die Kollegen sich dauernd zweideutige Witze und flirten miteinander.
  • Umarmen sie sich normalerweise zur Begrüßung und zum Abschied.
  • Sind sie vertraulich miteinander und kumpelhaft oder
  • ist der Ton sehr förmlich,
  • siezt man sich und
  • berührt sich nie, nicht mal mit Handschlag zur Begrüßung.

All das sind erste Indizien für die Klärung der Frage, was als unerwünscht angesehen werden könnte.

Dann muss die „Zweierkonstellation“ von mutmaßlichem Täter und mutmaßlichem Opfer angeschaut werden:

  • Auf welcher Ebene begegnen sich die Beiden hierarchisch gesehen?
  • Wie ist der bisherige Umgangston und die Art der gegenseitigen Berührungen (von „gar keine Berührungen“ über den „bloßen Handschlag“ bis zum „Küsschen rechts, Küsschen links“) zwischen den Betroffenen?
  • Dabei kann auch die bisherige schriftlich dokumentierte Kommunikation zur Klärung herangezogen werden.
  • Wenn die flapsigen Bemerkungen und Witze unterhalb der Gürtellinie nur so hin und her fliegen, dann kann nicht plötzlich eine ebensolche Bemerkung als unerwünscht erkennbar sein. Will ein Kollege, eine Kollegin aus dem flapsigen Umgang miteinander aussteigen, sollte sie oder er ein klares und deutliches Signal setzen
  • War jedoch die bisherige Kommunikation nicht zweideutig oder sexuell „angehaucht“ und kommt dann ein eindeutig sexuell bestimmtes „geiler Arsch Püppi!“, dann ist das durchaus als unerwünscht zu werten.

Sie sehen, es ist von Fall zu Fall zu differenzieren. Am besten fährt, wer seine Hände bei sich behält und seine Worte ein wenig an die Leine legt. Das gilt vor allem, wenn man oder frau irgendwo neu dazu kommt. Es gilt also: Vor Inbetriebnahme des Mundwerks Gehirn einschalten!

Sexuelle Belästigung – die wirkliche sexuelle Belästigung – ist ein großes Übel und gehört geahndet. Wie genau der Arbeitgeber hier verfährt, bleibt ihm überlassen. Er muss nur dafür sorgen, dass „es“ aufhört. Er kann dazu aus allen arbeitsrechtlich möglichen Maßnahmen die aus seiner Sicht geeignetste wählen.

Nun gibt es leider immer öfter auch die Kehrseite: Die vorgetäuschte sexuelle Belästigung. Die Motive können unterschiedlich sein und nicht selten sind es Männer, oft auch Führungskräfte, die hier unter die Räder einer weiblich gesponnenen Intrige geraten. Wenn zwei Frauen sich einig sind, dann hat Mann schlechte Karten. Auch diese Möglichkeit muss ein ergebnisoffen ermittelnder Arbeitgeber immer im Blick haben. Bringen Arbeitnehmer eine sexuelle Belästigung vor den Arbeitgeber, dann muss dieser sofort in alle Richtungen ermitteln und alle Betroffenen befragen und auch Beweismittel, die den mutmaßlichen Täter entlasten, prüfen.

Es ist einem Arbeitgeber dringend zu raten, taktisch klug vorzugehen und gleich zu Beginn einen erfahrenen Anwalt zu Rate zu ziehen. Die Befragung von Zeugen und die Ermittlung von unklaren Sachverhalten will gut überlegt sein und auch die vorläufigen Schritte hinsichtlich des mutmaßlichen Täters. Wenn es sich nämlich erweist, dass dieser unschuldig ist, sollte er nicht durch eine tollpatschige Ermittlung „verbrannt“ werden. Wenn er sich als wahrer Täter erweist, muss von Anfang an eine Situation geschaffen werden, die eine Wiederholung ausschließt. Eine vorläufige Freistellung bis zur vollständigen Aufklärung ist eine Möglichkeit von vielen.

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Allgemein Arbeitswelt heute Blog

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