29 Apr
2016

Freie Mitarbeiter, Scheinselbstständigkeit, Werkvertrag Arbeitnehmerüberlassung: Der Tanz auf dem Vulkan

Die Flexibilisierung des Personaleinsatzes ist  für viele Unternehmen nach wie vor ein brennendes Thema. Das Spannungsfeld, in dem diese Interessen bedient werden sieht wie folgt auf: Großes Unternehmen benötigt eigentlich dauerhaft aber eben doch nicht so ganz sicher dauerhaft Bedarf an hochwertigen Fachkräften – insbesondere aus dem MINT-Bereich. Das Große Unternehmen hat dabei wahlweise eigene Angestellte als Experten und „kauft“ externe zur Verstärkung der Mannschaft ein oder es verfügt nicht über eigenes Know How und holt sich deshalb externe Hilfe. Um das Große Unternehmen kreisen mehrere kleine Dienstleistungsfirmen, die seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen. Sie besitzen zur Sicherheit die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung und stellen ihr Personal in verschiedenen vertraglichen Konstruktionen dem großen Unternehmen zur Verfügung:

  • im Wege der legalen Arbeitnehmerüberlassung
  • im Wege des echten Werkvertrages
  • im Wege des Scheinwerkvertrages, der eigentlich als Arbeitnehmerüberlassung zu definieren ist
  • im Wege des echten Dienstvertrages
  • im Wege des Scheindienstvertrages, der eigentlich als Arbeitnehmerüberlassung zu definieren ist
  • im Wege des Subunternehmers, der bei dem kleinen Unternehmen als sogenannter „Freelancer“ oder Freier Mitarbeiter unter Vertrag ist

Mich erstaunt dabei immer wieder, wie unbedarft alle Beteiligten an diese Sache heran gehen. Es gibt hier mehrere Problemkreise:

  • Ein Werkvertrag ist nur dann ein echter Werkvertrag, wenn er bestimmte Kriterien erfüllt, die nicht nur auf dem Papier (Vertrag) stehen dürfen. Sie müssen gelebt werden. Dauerhaft.
  • Wenn ein Personaleinsatz nicht als Werkvertrag qualifiziert werden kann, dann handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Hat das kleine Unternehmen die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung, dann rettet die nach bisheriger Gesetzeslage noch den Entleiher (großes Unternehmen) und den Verleiher (kleines Dienstleistungsunternehmen). Wenn der von Frau Nahles vorgelegte Referentenentwurf zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze jedoch am 1.1.2017 Gesetz werden sollte, wonach es im Moment sehr aussieht, dann ist es Essig mit der Rettung durch „Pro-Forma-ANÜ-Erlaubnis“. Nach diesem Entwurf muss nämlich jede Arbeitnehmerüberlassung auch als solche gegenüber dem Arbeitnehmer bezeichnet werden. Ist das nicht der Fall, weil man ja so getan hat, als handelte es sich um einen Werkvertrag, dann wird ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher (großes Unternehmen) gesetzlich fingiert und nur der Arbeitnehmer hat es in der Hand, ob dies wahr wird. Er hat nämlich die Möglichkeit innerhalb eines Monats dieser Fiktion zu widersprechen. Immerhin hat man erkannt, dass der Arbeitnehmer vielleicht nicht mit einem neuen Arbeitgeber zwangsbeglückt werden möchte. Das war es aber auch schon.
  • Der Dienstvertrag liegt in der Praxis so dicht bei der Arbeitnehmerüberlassung, das von ihm in der Regel abzuraten sein wird.
  • Der Freelancer bzw. Freie Mitarbeiter ist in vielen Fällen ein Scheinselbstständiger. Das führt zu einem ziemlich großen Risiko für das kleine Dienstleistungsunternehmen, bei dem das drohende Strafverfahren wahrscheinlich noch niedlich ist im Vergleich zu dem Riesenproblem, das die Nachzahlung von SV-Beiträgen für 4 Jahre rückwirkend mit sich bringt. Da laufen schnell 5- bis 6-stellige Summen auf. Und – als wäre das nicht genug – man kann sich die Arbeitnehmerbeiträge vom Freien Mitarbeiter nicht zurück holen, denn das Lohnabzugsverfahren erlaubt nur einen rückwirkenden Einzug für die letzten 3 Monate.

Warum das alles und wer ist der Leidtragende? Aus meiner Sicht ist es das kleine Dienstleistungsunternehmen. Es ist gefangen zwischen dem Wunsch des Kunden nach größtmöglicher Flexibilität. Der Kunde möchte auch über das Personal des kleinen Unternehmens bestimmen. Der Freelancer ist eine stark umworbene Fachkraft und kennt seinen Marktwert. Er möchte sich die SV-Beiträge sparen und mehr verdienen als ein Angestellter. Viele kleine Dienstleistungsunternehmen hätten nämlich kein Problem damit, bisherige Freie Mitarbeiter zumindest projektbezogen befristet einzustellen. Selbstverständlich müssten die bisherigen Stundensätze dann um die SV-Beiträge gemindert werden, denn das was der Freie bekommt ist eigentlich das Arbeitgeberbruttogehalt. Das will der aber nicht.

Wie also vorgehen, wenn man sich als kleiner Dienstleister gesetzeskonform verhalten will und sowohl eigene Mitarbeiter als auch Subunternehmer beim Kunden einsetzen will.

Ein erster Schritt ist die Abgrenzung des Werkvertrages von der Arbeitnehmerüberlassung. Dafür gibt es im Wesentlichen 2 Kriterien:

  • Wer erteilt die Weisungen?
  • In wessen Betrieb ist der Arbeitnehmer eingegliedert?

Unter diese beiden Fragen kann man alles subsumieren. Bestimmt der Kunde gemeinsam mit dem Arbeitnehmer des kleinen Dienstleisters, was geleistet werden soll, wo, wie und wann und wird das „Werk“ erst im Nachhinein definiert, dann haben wir es NICHT mit einem Werkvertrag zu tun, sondern mit Arbeitnehmerüberlassung. Kommt dann noch hinzu, dass der Arbeitnehmer des Dienstleisters an Teambesprechungen teilnimmt, mit Mitarbeitern des Kunden zusammenarbeitet, von diesen angeleitet und kontrolliert wird: BINGO! Arbeitnehmerüberlassung. Natürlich ist diese Abgrenzung holzschnittartig und bedarf der Verfeinerung im Einzelfall. Und: Mit Eingliederung und Weisung kommen Sie schon ein ganzes Stück bei Ihrer eigenen Prüfung der Rechtslage.

Wie sieht es mit der Freien Mitarbeiter aus. Auch dazu gibt es schon Rechtsprechung und besagter Referentenentwurf des BMAS hat auch dafür einige bittere Pillen parat, denn es soll § 611 a BGB eingefügt werden, der wie folgt lauten soll:

㤠611a
Vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag
(1) Handelt es sich bei den aufgrund eines Vertrages zugesagten Leistungen um Arbeitsleistungen,
liegt ein Arbeitsvertrag vor. Arbeitsleistungen erbringt, wer Dienste erbringt
und dabei in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist und Weisungen unterliegt.
Wenn der Vertrag und seine tatsächliche Durchführung einander widersprechen, ist für die
rechtliche Einordnung des Vertrages die tatsächliche Durchführung maßgebend.

(2) Für die Feststellung, ob jemand in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert
ist und Weisungen unterliegt, ist eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Für
diese Gesamtbetrachtung ist insbesondere maßgeblich, ob jemand

a. nicht frei darin ist, seine Arbeitszeit oder die geschuldete Leistung zu gestalten oder
seinen Arbeitsort zu bestimmen,

b. die geschuldete Leistung überwiegend in Räumen eines anderen erbringt,

c. zur Erbringung der geschuldeten Leistung regelmäßig Mittel eines anderen nutzt,

d. die geschuldete Leistung in Zusammenarbeit mit Personen erbringt, die von einem
anderen eingesetzt oder beauftragt sind,

e. ausschließlich oder überwiegend für einen anderen tätig ist,

f. keine eigene betriebliche Organisation unterhält, um die geschuldete Leistung zu
erbringen,

g. Leistungen erbringt, die nicht auf die Herstellung oder Erreichung eines bestimmten
Arbeitsergebnisses oder eines bestimmten Arbeitserfolges gerichtet sind,

h. für das Ergebnis seiner Tätigkeit keine Gewähr leistet.

(3) …

Schon heute wird bei einem Freien Mitarbeiter geprüft, ob

  • er hinsichtlich Zeit, Ort und Art und Weise der Ausübung seiner Tätigkeit frei ist
  • er ein unternehmerisches Risiko trägt (z.B. Inestitionen) und durch mehr als nur den Einsatz seiner Arbeitskraft mehr Gewinn erzielen kann aber auch das Risiko des Verlustes hat
  • er werbend am Markt tätig ist
  • er eigene Mitarbeiter hat, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden (mehr als nur Minijob)
  • er Arbeiten verrichtet, die die Arbeitnehmer seines Auftraggebers auch verrichten
  • er in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert ist (z.B. eigene Emailadresse beim Auftraggeber, Nutzung der Zeiterfassung etc.)
  • er seine eigenen Betriebsmittel mitbringt oder mit denen des Auftraggebers arbeitet
  • er andere Auftraggeber in nennenswertem Umfang hat usw.

Bei vielen sogenannten Freien Mitarbeitern wird dies nicht der Fall sein. Eine Möglichkeit ist tatsächlich die Anstellung eines eigenen Mitarbeiters, für den SV-Beiträge gezahlt werden und die Gründung einer Gesellschaft. Auch weitere Lösungen sind denkbar und müssen gedacht werden, denn sonst werden sich gerade kleine Dienstleister beim tanz auf dem Vulkan gehörig verbrennen.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Allgemein

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