22 Apr
2016

BAG: Kein Präventionsverfahren für Schwerbehinderte innerhalb der Probezeit

 

Schwerbehinderte Menschen genießen einen besonderen Schutz auch im Arbeitsrecht. Jedoch tritt dieser Schutz erst nach einer Wartezeit von 6 Monaten ein. Damit korrespondiert er mit der Wartezeit nach dem KSchG und der im Allgemeinen vereinbarten maximalen Probezeit. Das Bundesarbeitsgericht hat am 21.4.2016 (8 AZR 402/16) über einen Fall entschieden, in dem eine Arbeitnehmerin mit einem Grad der Behinderung von 50 nach der Kündigung innerhalb der Probezeit Schandesersatz wegen Diskriminierung nach § 15 Abs, 2 AGG geltend gemacht hatte. Ich hatte schon am 19.9.2014 über die Entscheidung der Vorinstanz (LAG Baden-Württemberg 1 Sa 23/13, Urteil vom 17.3.2014) berichtet.

Die Arbeitnehmerin hatte sich gegen die Kündigung selbst nicht gewehrt. Sie war allerdings der Ansicht, dass der Arbeitgeber vor dem Ausspruch der Kündigung ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX hätte durchführen müssen, an dem auch die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt zu beteiligen gewesen wären. § 84 Abs. 1 SGB IX lautet wie folgt:

“Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.”

Der Arbeitgeber hatte argumentiert:

  • Innerhalb der Probezeit kann man ohne besonderen Grund kündigen. Dazu ist sie da.
  • Das SGB IX, das den Schutz der Schwerbehinderten regelt, geht selbst davon aus, dass zumindest der Kündigungsschutz erst nach einer Wartezeit von 6 Monaten eintritt.
  • Daher kann man auch für die Notwendigkeit eines Präventionsverfahrens davon ausgehen, dass dieser besondere Schutz ebenfalls erst nach 6 Monaten greift. Wäre es anders, würden Schwerbehinderte besser gestellt, als nicht-behinderte Menschen und das hatte der Gesetzgeber nicht vorgesehen, sonst hätte er keine Wartezeit eingebaut.

Das LAG hatte dem Arbeitgeber Recht gegeben. Zwar läge eine Diskriminierung vor, denn die der Chancencvorteil des Präventionsverfahrens war der Arbeitnehmerin nicht gewährt worden. Mit einem solchen Verfahren hätte man herausfinden können, wie genau man sie einsetzen kann und welche Unterstützungsmaßnahmen man ggf. vornehmen könne. Jedoch sah das LAG auch, dass ein Präventionsverfahren eine gewisse Zeit dauert. Jeder, der schon mal ein BEM durchgeführt hat, weiß, dass sich dies in die Länge ziehen kann. Der Arbeitgeber hätte also das Verfahren pro forma und mit Druck durchziehen können. Dann hätte er sich dem Vorwurf ausgesetzt, dass er es gar nicht ernst meint mit der Prävention. Oder er hätte es ernsthaft durchgeführt und hätte dann nicht mehr innerhalb der Probezeit kündigen können. Das LAG zog daraus den Schluss, dass es keinen Anspruch auf ein Präventionsverfahren innerhalb der Probezeit gibt. Das BAG hat dieses Urteil bestätigt. Es läge auch kein Verstoß gegen die UN-Behindertenkonvention und gegen die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) vor.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Allgemein

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