13 Mrz
2017

Aufsässige Mitarbeiter gesucht!

Aufsässige Mitarbeiter gesucht

Es flatterte durch meine Timeline bei Twitter: „Aufsässige Mitarbeiter gesucht – Wie rebellisch sind Sie?“ 

Wider besseres Wissen las ich den Artikel und ärgerte mich. „So ein reißerischer Mist!“ In meiner Kanzlei sitzen sie nämlich, die „aufsässigen Mitarbeiter“, die Führungskräfte, die aus ihrer Sicht

  • quer denken,
  • den Mund aufmachen,
  • Kritik äußern.

Sie sitzen nicht bei mir, weil es da so nett ist, sondern weil sie gerade dabei sind, ihren Job zu verlieren.

Oder es sitzen die Arbeitgeber bei mir, die mit Mitarbeitern/Führungskräften ihre Not haben, die „aufsässig“ und „rebellisch“ sind. Sie klagen über den/die:

  • die den Betriebsfrieden stören
  • Sand ins Getriebe streuen
  • nur motzen und nichts verbessern.

Doch ich kann keine repräsentative Aussage darüber treffen, wie rebellisch Führungskräfte und Mitarbeiter in deutschen Unternehmen sind. Zu mir kommen ohnehin nur die „kranken Fälle“. Ich weiß auch nicht, wie sehr sich Unternehmen „aufsässige“ und „rebellische“ Mitarbeiter wünschen. Ich habe daher 2 Menschen gefragt, wie sie es halten mit der „Aufsässigkeit“: Annette Creft und Mathias Wrede. Wir kennen uns über Twitter und haben auch im analogen Leben schon miteinander Kontakt gehabt. Zumindest telefonisch, denn die beiden leben und arbeiten in Bremen. Mathias ist Digitalisierungsberater und einer der zwei Gesellschafter- Geschäftsführer der Apandia GmbH Ich kenne ihn als einen, der den Konflikt nicht scheut und konstruktiv damit umgeht. Einer, der Lösungen findet.

Annette ist Angestellte im öffentlichen Dienst, hat auch schon in der freien Wirtschaft gearbeitet, setzt sich für das bedingungslose Grundeinkommen ein, hat einen eigenen Blog und schreibt gern und gut.

Nachstehend meine (SF) Fragen an Annette Creft (AC) und Mathias Wrede (MW):

SF: Wie sehr wollen Unternehmen wirklich Aufsässige?

MW: Ich bin offen dafür. Aufsässig verstehe ich jedoch nicht in Form von persönlicher Aufsässigkeit. Aufsässig im beruflichen Kontext ist für mich jemand, der eher mal einen anderen Weg geht. Dabei ist eine flache Hierarchie nicht alles. In unserer Firma fetzen wir uns auch mal mit den Angestellten und wir können uns nachher wieder in die Augen schauen. Da kann es auch mal laut werden und man entschuldigt sich, wenn man zu weit gegangen ist. Wie ein Überlaufventil. Raus mit dem Druck, jedoch nicht auf persönlicher Ebene.

AC: Ich habe oft das Gegenteil von „eingefahrenen Strukturen“ erlebt. Unternehmen wollten häufig eher zu viel von „Alles neu und alles anders“. Ich habe schon zweimal eine Marketingabteilung quasi alleine aufgebaut. Dies führte bei mir irgendwann zum Gefühl der Überforderung. Ich hatte denEindruck, hier müssen komplett neue Strukturen geschaffen werden. Ich sollte nicht nur Mitarbeiterin sondern gleichzeitig auch Unternehmensberaterin sein. Jedoch ohne Anerkennung und mit dem Gehalt einer Sachbearbeiterin. Das geht so natürlich auch nicht.

SF: Wir sind uns alle einig, dass die in dem Artikel erwähnten Äußerlichkeiten, wie CEO mit bunten Turnschuhen, uns nur müde lächeln lassen. Dieser „nette Versuch“ rebellisch zu wirken ist sowas von Holzhammer bzw. durchsichtig gewollt rebellisch, dass wir es nicht ernst nehmen können. Was sind denn für Euch „Aufsässige“?

AC: „Aufsässig“ ist für mich jemand, der nach dem Motto lebt: „Ich stelle mich gegen alles grundsätzlich quer – egal, was Du tust.“ Das halte ich für wenig zielführend. Ich denke als Angestellte kann ich sagen, dass ich es gewöhnt bin, neue Ideen   einzubringen. Dafür wurde ich auch selten kritisiert, da ich das konstruktiv und nicht persönlich betrachtet habe. Ich habe aus meiner eigenen Erfahrung und der Erfahrung von anderen Arbeitnehmern seitens der Vorgesetzten eher Folgendes erlebt: Man kommt zur Arbeit um seinen Job zu machen und gleichzeitig wird sogar erwartet, dass man den Betrieb nach vorne bringt indem man unternehmerisch mitdenkt. Das kann positiv sein, wenn es das Selbstbewusstsein stärkt. Hohes Extra-Engagement sollte jedoch wertgeschätzt und honoriert werden.

MW: Ich interpretiere „aufsässig“ eher in der Zielerreichung. Der „Aufsässige“ in diesem Sinne macht es nicht so, wie es immer gemacht wurde sondern geht mal einen anderen Weg. Auch indem er der Geschäftsleitung widerspricht. Ein „Aufsässiger“ definiert Regeln neu. Dieses „aufsässig“ möchte ich als Unternehmer haben. Nicht das „aufsässig“ in Form von aufmüpfig und respektlos.

Foto: Privat

SF: Annette, du hast in unserer, diesem Interview vorausgehenden, Unterhaltung auf Twitter davon gesprochen, dass Unternehmen lieber nach glücklichen Mitarbeitern mit Sozialkompetenz streben sollen. Aufsässige contra Glückliche?

AC: Eigentlich hatte ich gesagt, dass die Sozialkompetenz des Vorgesetzten für glückliche Mitarbeiter sorgt. Bedeutet, dass diese die Chance bekommen, sich auch mal kontrovers mit ihren Qualitäten einzubringen, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken und das Gefühl zu haben, sie wirken mit, sie bewegen etwas. Dies ist Teil eines gelungenen Führungsstils. Man kann sowohl Querdenker sein als auch glücklich. Vielleicht ist es auch besser, von „mitdenken“ zu sprechen als „querdenken“.

SF: Mitdenken und querdenken schließt sich für mich nicht aus.

MW: Es gibt unterschiedliche Typen von Mitarbeitern. Kreativität ist für mich nicht nur mitdenken, sondern auch mal gegen halten. Das Feedback muss begründet sein. Zum falschen Zeitpunkt kann es zum Dampf ablassen führen. Da habe ich dann den Eindruck, der Mitarbeiter kommt mir als Geisterfahrer entgegen. Manchmal muss man einfach mal eine Nacht drüber schlafen, bevor man Feedback gibt und nachdem man welches bekommen hat. Es gibt die Mitarbeiter, die mitdenken, die alles machen. Wie immer. Und es gibt Mitarbeiter, die einen anderen Weg gehen wollen. Das ist schwierig. Besonders, wenn es schon viel Arbeit gekostet hat und dann kommt einer, der will es anders machen. Das regt mich dann schon auf im ersten Moment. Dann schlafe ich eine Nacht drüber und stelle fest: Der Mitarbeiter hat den besseren Weg. Dieser Weg kostet uns zwar Zeit und Geld, denn ich weiß, wenn ich dem zustimme, werfe ich 1-2 Wochen Arbeit weg. Aber: es ist der bessere Weg.

SF: Auch wenn Du schon 2 Wochen daran gearbeitet hast, ist es ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis. Die Idee wäre Deinem Mitarbeiter doch gar nicht gekommen, wenn ihr nicht erst mal in die einer Richtung gelaufen wärt. Es ist also nicht vergeudet – beim zweiten Mal hinschauen ;-)

MW: Richtig. Daher brauche ich diesen „aufsässigen Mitarbeiter“. Der geht den Weg weiter.

AC: Ich kenne es gar nicht, dass Dinge immer gleich sind. Im Marketing z.B. muss ich immer neue Wege gehen, denn gerade dort wird häufig eine Strategie nach der anderen wieder umgeworfen. Ich genieße es daher mittlerweile, wenn es mal eingefahrene Wege gibt.

SF: Annette, Du sagst: „Ein guter Arbeitsplatz ist weder Kampf noch Überwindung“ – Braucht es die Rebellen also gar nicht?

MW: Es geht nicht um Revolution. Es ist ein Streit in der Sache. Wenn sich die Mitarbeiter mit uns fetzen und wir mit ihnen, geht es um die Sache. Und gibt keine Repressalien, wenn jemand auch mal Dampf ablässt. Wir landen immer bei der besseren Lösung. Das geht nur, wenn jemand bereit ist dagegen anzugehen. Auch gegen Ideen des Chefs

SF: Ist es nicht so, dass wir als Unternehmer/FK offen sein dürfen für Kritik und Querdenker, die unsere Komfortzone stretchen? Brauchen wir nicht solche, die mit der Taschenlampe die blinden Flecken bei uns ausleuchten? Und ist es nicht so, dass das auch mal weh tut? Auch dem verständnisvollsten Unternehmer?

AC: In meiner Zeit als Unternehmerin war ich darauf angewiesen, dass meine Mitarbeiter mir Tipps geben. Aus fachlicher Sicht. Und dann brachten sie aus ihrer Sicht noch andere Vorschläge. Das fanden wir alle glaube ich sehr bereichernd. Es entsteht daraus eine Harmonie, die ich z.B. als Kreative immer brauche, um überhaupt produktiv sein zu können. Eine sachliche Diskussion sehe ich auch nicht als „Streit“ – sie verunsichert nicht. Wie Mathias sagte.

SF: Annette, du sagst „Unternehmen, in denen ich mich als Querschießer fühlen würde, wenn ich mich einbringe, taugen nichts“ Für mich klingt das nach schwarz/weiß. Ich würde mich auch nicht wohl fühlen, wenn ich immer „das Arschloch“ „die Klugscheißerin“ wäre. Aber wenn meine unkonventionellen Lösungsansätze ernst genommen werden und ich mich streiten darf, das gewollt ist im Sinne einer gemeinsamen Lösungsfindung, ist es etwas anderes. Oder? Und Mathias sprach von Mitarbeitern, die Angst haben, ihre Meinung zu sagen, weil sie vielleicht so erzogen sind. Er als Unternehmer brauche solche Mitarbeiter nicht unbedingt. Annette, spricht von Atmosphäre der Angst schaffen vor Kündigung und Bespitzelung – das sind m.E. zwei Szenarien, die nur eine geringe Schnittmenge haben. M.E. muss getrennt werden, zwischen der Persönlichkeit, die aufgrund eingebildeter oder anerzogener Ängste den Mund nicht aufmacht und zwischen Unternehmen, die bewusst oder unbewusst/bewusst ihr Mitarbeiter bei jeglicher Kritik auf dem Kieker haben und damit auch objektiv Grund zur Sorge vor Repressalien geben.

AC: Ich arbeitete mal einer chinesischen Firma. Dort gab es eher ein Klima der Angst. Allerdings ist dies nun auch eine völlig andere Kultur. Schlimmer finde ich es bei deutschen Firmen, wenn bewusst ein Klima der Angst geschürt wird. Es gibt Großunternehmen, die sind dafür verschrien. Oder solche die sich um den Mindestlohn drücken. In meiner Wahrnehmung hat die Mehrzahl der Mitarbeiter Angst. Ich hatte in der freien Wirtschaft wenige Unternehmen, bei denen das Klima so gut war, dass jeder morgens gern zur Arbeit gekommen ist.

MW: Ich kenne auch alles. Ich habe als Angestellter gearbeitet und fand das ok. Damit war ich aber nicht zufrieden. Schließlich habe ich mich selbstständig gemacht und alleine gearbeitet und dann einen Geschäftspartner gefunden. Uns gibt es seit 8 Jahren. Wir hatten die Idee prozessorientierte IT-Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Heute nennt man es „Digitalisierung“. und wir machen prinzipiell genau dasselbe. Nur das thematische Umfeld ist jetzt offiziell etwas weiträumiger. Die „Zukunft der Arbeit“ bzw. Arbeit 4.0 sind jetzt offizieller Bestandteil unseres Schaffens. Jetzt wird langsam das, was wir seit 8 Jahren machen, anerkannt. Mein Geschäftspartner und ich kommen aus verschiedenen Ecken. Ich bin Techniker. Er ist Kaufmann. Wir streiten auch. Aber nur um Lösungen. Eingefahrenes Denken bekomme ich bei den Kunden mit. Jede Veränderung wird als Problem wahrgenommen. Es gibt Kunden, die leben nach dem Motto: „Ich bin dafür, dass ich dagegen bin“. Doch so sind die Menschen: Es gibt Bewahrer, Veränderer und die Rückwärtsgewandten.

SF: Ich danke Euch beiden für Eure Offenheit. Aufsässige und rebellisch hat nicht mit „nur motzen ohne konkrete Veränderungsvorschläge“ zu tun. Jedoch braucht es eine Streitkultur in Unternehmen. Wenn Unternehmer wollen, dass ihre Mitarbeiter mitdenken und sich auch mal gegen die Geschäftsleitung stellen, weil sie überzeugt sind, die bessere Lösung gefunden zu haben, dann muss das mehrfach entlohnt werden:

  • Durch ein hervorragendes Betriebsklima, in dem Mitarbeiter sich trauen dürfen, laut und unbequem-konstruktiv mitzudenken und zu –arbeiten.
  • Durch ein Betriebsklima, in dem wertschätzend und respektvoll miteinander umgegangen wird.
  • Durch eine entsprechende finanzielle Anerkennung oder andere Benefits fürs Mitdenken. Und dabei dürften die Mitarbeiter dann auch mit Vorschlägen gehört werden.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Allgemein Arbeitswelt heute

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