13 Mai
2012

Whistleblowing kann zur Kündigung führen

Urteil des LAG Schleswig-Holstein (20.3.2012 2 Sa 331/11) zur Kündigung wegen Anzeige bei einer Behörde

Das Verhalten eines Arbeitgebers kommt Arbeitnehmern des Öfteren „nicht ganz koscher“ vor. Bisweilen wissen sie sogar ganz sicher von handfesten Verstößen gegen bestehendes Recht (z.B. Arbeitszeitrechtsverstöße, Betrug ggü. Agentur für Arbeit u.Ä.). Manchmal aber vermuten sie diese Verstöße nur und können sie nicht beweisen. Arbeitnehmer stellen sich in solchen Situationen die Frage, ob sie Anzeige bei der zuständigen Behörde (z.B. Arbeitsagentur, Finanzamt, Gewerbeaufsichtsamt, Staatsanwaltschaft etc.) erstatten sollen oder, noch schlimmer, machen das sofort ohne vorherige Prüfung durch einen Anwalt.

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Doch der Reihe nach (der abgekürzte Sachverhalt, den das LAG vorliegen hatte):
Der Arbeitnehmer (Kläger) war zum Zeitpunkt der ersten Kündigung am 10.2.2011 knapp 2 Jahre beim Arbeitgeber beschäftigt. Er war aufgrund eines Freizeitunfalls zu Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2009 ca. ein halbes Jahr mit Unterbrechungen immer wieder krankgeschrieben und befand sich seit Ende November 2009 in Kurzarbeit Null. Es gab dann noch zwei weitere Kündigungen jeweils vom 18.5.2011. Eine ordentliche und eine fristlose Kündigung. Der Kläger war ein „schwieriger Fall“. Teamfähigkeit war seine Sache nicht. Das wurde ihm sogar durch ein Gutachten, das er in den Prozess einbrachte, attestiert. Lange Rede, kurzer Sinn: Zwei seiner Kollegen, die für einen hohen Umsatz verantwortlich sind, weigerten sich aufgrund seines unkollegialen Verhaltens mit ihm weiterhin zusammenzuarbeiten und drohten ihrerseits mit Kündigung. Es habe eine Vielzahl von Fällen gegeben, die in ihrer Gesamtschau zum Bruch zwischen den beiden Kollegen und dem Kläger führten. Den Kollegen sei es nahezu unmöglich, die Gegenwart des Klägers zu ertragen. Bei ihrer Zeugenvernehmung durch das Gericht haben sie den Kläger keines Blickes gewürdigt. Zwar  habe sich der Geschäftsführer des Arbeitgebers schützend vor den Kläger gestellt, musste schließlich aber der Drucksituation (entweder der Kläger oder die beiden umsatzstarken Kollegen) nachgeben und dem Kläger kündigen.

Der Arbeitgeber hat im Laufe des Prozesses einen Auflösungsantrag gestellt für den Fall, dass das Gericht der Ansicht ist, die Kündigungen seien unwirksam. Der Kläger hatte nämlich nach den Kündigungen bei der Agentur für Arbeit Anzeige gegen den Arbeitgeber erstattet. Er hatte behauptet, er sei nur deshalb auf Kurzarbeit Null gesetzt worden, weil man ihn loswerden wolle. Die Voraussetzungen für Kurzarbeit seien nur vorgeschoben gewesen, denn es seien wirklich nur Kollegen in Kurzarbeit geschickt worden, die nicht freiwillig gehen wollten. Auf diese Anzeige hin leitete die Staatsanwaltschaft, die von der Arbeitsagentur eingeschaltet worden war, ein Ermittlungsverfahren gegen den Arbeitgeber ein. Der Kläger, der bei seiner Anzeige zunächst mit vollem Namen gegenüber der Agentur für Arbeit aufgetreten war, weil er seiner eigenen Aussage zufolge nichts zu verlieren hatte, wollte nun anonym bleiben und seinen Beitrag an der Initiierung des Ermittlungsverfahrens so klein wie möglich halten. Er sei im Begriff einen Kündigungsrechtsstreit zu gewinnen.

Zwei Fragen haben das LAG Schleswig-Holstein beschäftigt:

  • Liegt eine die Druckkündigung rechtfertigende Situation vor?
  • Wenn das nicht der Fall ist, die Kündigungen also unwirksam sind, war das Verhalten des Arbeitnehmers nach den Kündigungen so verwerflich, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gleichwohl nicht zugemutet werden kann? Die Auflösung erfolgt in so einem Fall gegen Zahlung einer Abfindung.

Das LAG hat festgestellt, dass die Kündigungen unwirksam waren. Durch die Kündigungen wurde das Arbeitsverhältnis also nicht beendet.
Es hat zunächst den Unterschied zwischen einer Drucksituation und einer Mobbingsituation dargestellt. Beide sind sich nicht unähnlich, denn in beiden Fällen stellen sich mehrere Arbeitnehmer gegen einen einzelnen Arbeitnehmer, um diesen aus dem Arbeitsverhältnis zu drängen. Im Gegensatz zum Mobbing, drohen bei der Druckkündigung die Kollegen, selbst zu gehen, wenn nicht der aus ihrer Sicht zu kündigende Kollege geht (Er oder wir!). Liegen beim Arbeitnehmer keine verhaltensbedingten Gründe vor, die seine Kündigung rechtfertigen würden, muss sich der Arbeitgeber schützend vor den angegriffenen Kollegen stellen und versuchen, den Frieden wiederherzustellen. Gelingt dies nicht, kann er dem Arbeitnehmer – auf Druck der anderen Kollegen, die mit ihrer Kündigung drohen – ausnahmsweise betriebsbedingt kündigen. Das ist aber nach der Rechtsprechung nur dann gerechtfertigt, wenn die Kündigung der Druck ausübenden Kollegen den Arbeitgeber in schwere wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen würde (dem Ruin nahe). Des Weiteren muss der Arbeitgeber wirklich ernsthafte Anstrengungen unternommen haben, um die Kollegen wieder zusammen zu bringen. Im vorliegenden Fall hat das LAG festgestellt, dass der Arbeitgeber viel zu wenig unternommen hat, um den Frieden wiederherzustellen. Außerdem sei nicht sicher, ob die Kollegen wirklich die feste Absicht hatten, zu kündigen. Der Arbeitgeber habe außerdem zu viel Zeit verstreichen lassen. Es kann also nicht so schlimm gewesen sein, so das LAG. Es hätte zu den Pflichten des Arbeitgebers gehört, dem Kläger bei der Entwicklung von Teamfähigkeit zu helfen. Auch das hätte zur Einarbeitung gehört. Dies alles hat der Arbeitgeber nicht getan.

Das LAG hat jedoch das Arbeitsverhältnis trotz Unwirksamkeit der Kündigungen gehen Zahlung einer Abfindung von 4.300 Euro aufgelöst. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist nur möglich, wenn besonders schwerwiegende Gründe in der Person bzw. dem Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen, die eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar machen. Die Anzeige des Klägers bei der Agentur für Arbeit sah das LAG als Grund an, dem Auflösungsantrag stattzugeben. Der Arbeitgeber müsse in Zukunft immer damit rechnen, dass der Kläger ihn bei Meinungsverschiedenheiten im Arbeitsverhältnis bei Behörden anzeigt. Zwar hat das LAG gesehen, dass es Fälle geben kann, in denen es dem Arbeitnehmer erlaubt ist, Anzeige zu erstatten ohne eine Kündigung (oder Auflösung) zu riskieren. Es verweist auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.07.2011 (28274/08). Ein solcher erlaubter Fall (von Whistleblowing) läge hier aber nicht vor. So verlor der Arbeitnehmer seinen Job gegen Zahlung einer geringen Abfindung.
Das Urteil ist in zweierlei Hinsicht interessant. Es ist nicht überraschend, neu oder bahnbrechend aber es macht noch einmal deutlich, dass an eine Druckkündigung sehr hohe Anforderungen zu stellen sind. Der Arbeitgeber muss in so einem Fall wirklich alles unternommen haben, um das Arbeitsverhältnis zu retten. Die mit Kündigung drohenden Arbeitnehmer müssen wirklich so wichtig für ihn sein, dass sie praktisch unverzichtbar sind und sie müssen zur Kündigung entschlossen sein. Für all das trägt der Arbeitgeber die Beweislast! Des Weiteren wird Arbeitnehmern klar gemacht, dass eine leichtfertige Anzeige des Arbeitgebers für das Arbeitsverhältnis gefährlich sein kann.
Laut der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschrechte (21.07.2011, 28274/08), muss der Arbeitnehmer folgendes beachten:
aus den Leitsätzen des Urteils:
„ …..Wegen der Pflicht des Arbeitnehmers zu Loyalität und Vertraulichkeit müssen Informationen zunächst dem Vorgesetzten gegeben werden. Nur wenn das nicht möglich ist, kann der Arbeitnehmer als letztes Mittel damit an die Öffentlichkeit gehen.

Bei der erforderlichen Interessenabwägung ist von Bedeutung, ob an der Information ein öffentliches Interesse besteht und ob sie fundiert ist. Jeder, der Informationen weitergeben will, muss grundsätzlich prüfen, ob sie genau und zuverlässig sind. Außerdem muss der mögliche Schaden für den Arbeitgeber berücksichtigt werden, die Gründe für die Information und die Art der Sanktion.
Eine Strafanzeige wegen Missständen am Arbeitsplatz kann gerechtfertigt sein, wenn vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, dass innerbetriebliche Beschwerden zu einer Untersuchung und Abhilfe führen.
Die Anzeigen …….. hatten einen tatsächlichen Hintergrund und waren nicht wissentlich oder leichtfertig falsch. Nach ihren Erfahrungen mit vielen ergebnislosen betriebsinternen Beschwerden konnte sie annehmen, dass die Strafanzeige das letzte Mittel zur Verbesserung der Pflegesituation sei.
Das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der Altenpflege in staatlichen Pflegeheimen hat so viel Gewicht, dass es das Interesse des Unternehmens am Schutz seines guten Rufs im Geschäftsverkehr und seiner geschäftlichen Interessen überwiegt. ……“

In dem Fall, den der EGMR zu entscheiden hatte, gewann die klagende Altenpflegerin den Rechtsstreit, weil die obigen Voraussetzungen vorlagen.
Das LAG Schleswig-Holstein ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger seinen Arbeitgeber nicht ohne Konsequenzen anzeigen durfte. Es hat dabei vor allem berücksichtigt, dass der Kläger erst nach Zugang der Kündigungen die Anzeige erstattet hatte und vorher zu keinem Zeitpunkt versucht hatte, eine Klärung mit dem Arbeitgeber herbeizuführen.
Dies zeigt, dass man vor einem beabsichtigten Whistleblowing immer erst genau prüfen muss, ob dieses auch gerechtfertigt ist

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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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