9 Nov
2010

Verstöße gegen Mindestlöhne sind kein Kavaliersdelikt

von Dr. Sandra Flämig – Rechtsanwalt – Fachanwältin für Arbeitsrecht – Stuttgart
und Rechtsanwalt Christian Vogler – Stuttgart

Schluss mit Lustig dachte sich wohl die vorsitzende Richterin am Landgericht Magdeburg im Sommer diesen Jahres, als zum ersten Mal der Verstoß gegen allgemeinverbindliche Bestimmungen der Tarifwerke des Gebäudereinigerhandwerks nicht nur als bloße Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt bewertet und das Vergehen mit einer Geldstrafe geahndet wurde.

Ein 57jähriger gebürtiger Ukrainer entschied sich, eine Firma im Geschäftsbereich Reinigungsservice zu gründen. Dabei schloss er unter anderem mit verschiedenen Autohöfen bzw. Raststätten Pachtverträge ab, wonach er garantieren musste, dass in den Sanitärtrakten einschließlich Duschräumen ständig Sauberkeit und Ordnung herrscht. Konkret bedeutete dies, dass sich die Mitarbeiter der Reinigungsfirma 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche im Sanitärtrakt aufhalten mussten.

Für diese Arbeiten warb der Angeklagte ausschließlich Personen aus den ehemaligen GUS-Staaten an. Er schloss mit den Mitarbeitern auf Minijobbasis schriftliche Arbeitsverträge, in denen nur fixiert war, dass „Arbeitszeit nach Vereinbarung“ zu erbringen sei. Die einzelnen Mitarbeiter erhielten für ihre Tätigkeit Monatslöhne zwischen 60,00 € und 170,00 € bei einem Arbeitseinsatz von 14 Tagen im Monat und einer täglichen Arbeitszeit von 12(!) Stunden (168 Stunden/Monat). Die Mitarbeiter hatten die Pflicht, den 24 Stunden-Service, den der Angeklagte gegenüber seinen Vertragspartnern vertraglich garantierte, einzuhalten. Sie mussten immer ein waches Auge darauf zu haben, ob irgendwo im Sanitärtrakt Putzarbeiten anfallen, entrichtete Trinkgelder galt es, sofort zu vereinnahmen.

Gegenüber der zuständigen Einzugsstelle für geringfügig Beschäftigte gab der Angeklagte die Höhe der gezahlten Löhne korrekt an, machte aber bezüglich der Arbeitszeiten falsche Angaben, so dass es sich bei den Beschäftigten nicht mehr um geringfügig Beschäftigte handelte. Statt des maßgeblichen Mindestlohns für das Reinigungsgewerbe von 7,68 € lag der effektive Lohn bei nicht einmal einem Euro pro Stunde.

Mit der Aufnahme von immer mehr Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) nimmt auch die Missbrauchsgefahr zu. Arbeitgeber in Branchen wie etwa Gebäudereinigung, Abfallwirtschaft oder Sicherheitsdienstleistungen müssen immer mit einem Besuch des Zoll, Abteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ rechnen. Auch (Leih-)Arbeitnehmer, die von ihren Verleihern an Kunden überlassen werden, die in den Geltungsbereich der vorstehenden Branchen fallen, haben Anspruch auf die Mindestlöhne, die in der Regel deutlich höher liegen als die Löhne in den Branchentarifverträgen der Zeitarbeit.

Jenseits der Gefahr, durch das Ordnungswidrigkeiten- oder gar Strafrecht belangt zu werden, sollten Arbeitgeber von Mindestlohnbranchen gleichermaßen wie darin tätige Arbeitnehmer/innen zur Vermeidung arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Nachteile anwaltlichen Rat einholen, wenn Zweifel bestehen, ob sie einer der Mindestlohnbranchen unterliegen.

Aber auch wer nicht einer Mindestlohnbranche angehört und verdächtig wenig verdient, sollte sich Rat holen. Möglicherweise liegt ein Fall von Lohnwucher vor, gegen den man gerichtlich vorgehen kann.

 

An dieser Stelle sei aber auch noch einmal betont, dass auch wir Verbraucher oder Käufer von Dienstleistung über Löhne bestimmen. Der bloße empörte Fingerzeig auf ausbeuterische Unternehmen ist zu kurz gegriffen. Wer als Auftragnehmer einem Reinigungsunternehmen weniger als 20 Euro netto pro Stunde bezahlen will, kann nicht davon ausgehen, dass die Reinigungskraft dann auch wirklich nach Tarif bezahlt wird. Man muss nur einmal selbst rechnen. Wenn wir alles immer billiger haben wollen, zahlen wir am Ende alle drauf – bei den staatlichen Transferleistungen zum Beispiel.

Faire Preise aber fördern faire Löhne.

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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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