31 Okt
2012

Unwiderrufliche Freistellung – Arbeiten beim Konkurrenten – Herausgabe des Verdienstes

BAG Urteil vom 17. 10. 2012, 10 AZR 809/11; Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.2011, 9 Sa 45/11

Da kann man als Arbeitgeber schon sauer werden:

Dem Arbeitnehmer wird gekündigt. Es gibt eine Kündigungsschutzklage und man einigt sich im Wege des Vergleichs. Wie so oft wird folgende (sinngemäße) Regelung getroffen:

„Der Arbeitnehmer wird bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung seiner vertraglichen Vergütung und unter Anrechnung des restlichen Urlaubs unwiderruflich freigestellt.“

Nun entschließt sich der Arbeitnehmer, die gewonnene freie Zeit nicht in der Hängematte zu verbringen, sondern bricht auf zu  neuen Ufern und heuert noch in der Freistellungsphase, also während des bestehenden Arbeitsverhältnisses beim alten Arbeitgeber, beim größten Konkurrenzen seines Arbeitgebers an.

So geschah es in dem kürzlich vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall. Der alte Arbeitgeber klagte gegen seinen illoyalen Mitarbeiter. Schließlich bekam der doppelt Gehalt: einmal vom klagenden Arbeitgeber und einmal vom neuen Arbeitgeber. „Das kann doch nicht sein!“ muss der frühere Arbeitgeber gedacht haben, denn er berief sich auf §§ 60 und 61 HGB, die da lauten:

§ 60 Gesetzliches Wettbewerbsverbot

(1) Der Handlungsgehilfe darf ohne Einwilligung des Prinzipals weder ein Handelsgewerbe betreiben noch in dem Handelszweige des Prinzipals für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte machen.

(2) Die Einwilligung zum Betrieb eines Handelsgewerbes gilt als erteilt, wenn dem Prinzipal bei der Anstellung des Gehilfen bekannt ist, daß er das Gewerbe betreibt, und der Prinzipal die Aufgabe des Betriebs nicht ausdrücklich vereinbart.

§ 61 Verletzung des Wettbewerbsverbots

(1) Verletzt der Handlungsgehilfe die ihm nach § 60 obliegende Verpflichtung, so kann der Prinzipal Schadensersatz fordern; er kann statt dessen verlangen, daß der Handlungsgehilfe die für eigene Rechnung gemachten Geschäfte als für Rechnung des Prinzipals eingegangen gelten lasse und die aus Geschäften für fremde Rechnung bezogene Vergütung herausgebe oder seinen Anspruch auf die Vergütung abtrete.

(2) Die Ansprüche verjähren in drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in welchem der Prinzipal Kenntnis von dem Abschluss des Geschäfts erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste; sie verjähren ohne Rücksicht auf diese Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in fünf Jahren von dem Abschluss des Geschäfts an.“

Der Arbeitgeber vertrat die Ansicht, dass er Anspruch auf Herausgabe des Verdienstes beim Konkurrenten hat, weil der Arbeitnehmer ja in seinem Handelszweig Geschäfte für eigene bzw. fremde Rechnung mache.

Er unterlag jedoch in allen 3 Instanzen. Der beklagte Arbeitnehmer musste die Vergütung, die er bei seinem neuen Arbeitgeber bekommen hatte, nicht herausgeben. Er konnte also doppelt kassieren.

Das Bundesarbeitsgericht sagte, wie die Vorinstanzen auch, dass es sich bei einem neuen Arbeitsverhältnis schon nicht um ein „Geschäft“ im Sinne der §§ 60 und 61 HGB handele. Des weiteren, so ist es aus der bislang nur vorliegenden Begründung des LAG Baden-Württemberg zu lesen, könne der klagende Arbeitgeber ja gar nicht an die Stelle des beklagten Arbeitnehmers treten, um dann an dessen Stelle das „Geschäft“ zu machen. Der alte Arbeitgeber kann schließlich nicht Arbeitnehmer seines Konkurrenten werden. §§ 60, 61 HGB haben den zu entscheidenden Fall gar nicht vorgesehen. Anders hätte es vielleicht ausgesehen, wenn der beklagte Arbeitnehmer auf Provisionsbasis tätig geworden wäre. Dann hätte man einen Eintritt des alten Arbeitgebers in die angeschlossenen Geschäfte für den neuen Arbeitgeber fingieren und den Gewinn abschöpfen können. Das war aber nicht der Fall.

Auch die Berufung auf § 615, Satz 2 BGB half dem frustrierten Arbeitgeber nicht weiter, wie aus der Begründung des LAG Baden-Württemberg zu lesen ist. § 615 BGB lautet:

§ 615 Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko

Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.  Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.“

Der Arbeitgeber befand sich nämlich nicht im Annahmeverzug. Die Parteien hatten sich ja auf eine bezahlte und unwiderrufliche Freistellung geeinigt.

Eine Anrechnung kam auch nicht wegen etwaiger Treuwidrigkeit des Arbeitnehmers in Frage. Der beklagte Arbeitgeber hatte dazu zu wenig vorgetragen.

Der Arbeitgeber hätte vor Abschluss des Vergleichs die Möglichkeit der Tätigkeit während der Freistellungsphase vorhersehen können und vereinbaren sollen, dass ein Zwischenverdienst angerechnet wird oder für den Fall der Konkurrenz eine Vertragsstrafe vereinbaren sollen.

Es hätte Möglichkeiten gegeben, die im Vorfeld hätten beachtet werden können. Man hat sie nicht genutzt und auch dafür wird es Gründe gegeben haben. Schließlich darf man nicht vergessen, dass der klagende Arbeitgeber gekündigt hatte und auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist verzichtet hat. Das Gehalt hätte der klagende Arbeitgeber ohnehin zahlen müssen. Aufgrund der fehlenden Anrechnungsregelung in dem gerichtlichen Vergleich hätte der Arbeitgeber auch einen Zwischenverdienst bei einem Nicht-Konkurrenten nicht anrechnen dürfen. Die Unerträglichkeit ist nur durch die Tätigkeit bei der Konkurrenz entstanden. Doch die konnte unter den gegebenen Voraussetzungen nicht „gesühnt“ werden.

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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