30 Okt
2014

Tarifliche Unkündbarkeit – verhaltensbedingte Kündigung mit Auslauffrist NICHT möglich

Ich bin mir sicher, dass der Fall, den das LAG Baden-Württemberg am 25.6.2014 (4 Sa 35/14)entschieden hat, öfter vorkommt und nicht jedem Arbeitgeber geläufig ist. Hier wird eine Falle sichtbar, in die Arbeitgeber tappen können, wenn sie einen Tarifvertrag anwenden, der ab einem bestimmten Lebensalter und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit die Kündigung nur noch aus wichtigem Grund ermöglicht.

Der Fall an sich ist einfach gelagert: Eine Arbeitnehmerin, die im Anwendungsbereich des TVöD tätig ist, schon älter als 40 Jahre alt und länger als 15 Jahre beschäftigt war, hatte somit die sogenannte „Alterssicherung“ erreicht. D.h., die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses war nur noch aus wichtigem Grund möglich.

Der Arbeitgeber kündigte ihr außerordentlich und  -jetzt kommt der Fehler- mit sozialer Auslauffrist am 19.9.2013 zum 31.3.2014. Vorwurf: Die Arbeitnehmerin soll ihrer Chefin eine Ohrfeige angedroht haben bzw. für den Fall, dass ihr die Ohrfeige nicht möglich sei, angedroht haben, dass ihr Sohn dies bewerkstelligen würde.

Die Arbeitnehmerin gewann vor dem Arbeitsgericht und vor dem LAG. Die Revision ist zugelassen.

Das LAG führte aus:

  • Es ist auch bei den sogenannten „altersgesicherten“ Arbeitnehmern möglich, zu kündigen
  • Die Kündigung ist nur aus wichtigem Grund, wie er etwa in § 626 BGB genannt wird, möglich. Nach § 626 BGB ist die Kündigung aus wichtigen Grund dann gerechtfertigt, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht einmal bis zum Ablauf der Kündigungsfrist mehr zugemutet werden kann. Der Grund muss also sehr massiv sein.
  • Bei Mitarbeitern, die altersgesichert sind, wird also geschaut, ob eine Beschäftigung bis zum Ablauf einer „fiktiven“ Kündigungsfrist noch zumutbar ist oder nicht.
  • Bei betriebsbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen sind Fälle denkbar, bei denen eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt wäre, wenn man die Kündigungsgrund an sich betrachtet. Diese ordentliche Kündigung ist durch den Tarifvertrag aber gerade ausgeschlossen, daher ist in diesen Fällen die „außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist“ möglich, denn die Altersgesicherten dürfen nicht schlechter gestellt werden als die, die noch keinen Altersschutz haben. Es kann aber auch nicht sein, dass ein 40-jähriger Altersgesicherter bis zur Rente bezahlt werden muss, obwohl der Betrieb stillgelegt wird. Die soziale Auslauffrist entspricht der ansonsten geltenden Kündigungsfrist.
  • Bei betriebsbedingten und personenbedingten Kündigungsgründen ist es aber normalerweise so, dass eine außerordentliche Kündigung gar nicht möglich ist, denn die Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist bei diesen beiden Kündigungsgründen in der Regel zumutbar. Das Thema „außerordentliche betriebsbedingte/personenbedingte Kündigung“ kommt ja nur durch den Tarifvertrag zustande, der eben nur noch die außerordentliche Kündigung zulässt.
  • Das ist anders bei der verhaltensbedingten Kündigung. Hier kann es immer sowohl den Fall geben, in dem die ordentliche Kündigung das Mittel der Wahl ist und Fälle, in denen es die außerordentliche Kündigung ist. Hier stehen beide Kündigungen gleichberechtigt nebeneinander. Die Schwere des Pflichtverstoßes gibt den Ausschlag dafür, welche Kündigungsart man wählt.
  • Das bedeutet, dass bei einem weniger schweren Pflichtverstoß immer die ordentliche Kündigung zu wählen ist.
  • Das geht aber gerade nicht mehr, wenn die Person altersgesichert ist. Aus diesem Grund ist bei Mitarbeitern, die tarifvertraglich nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden können immer nur dann eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt, wenn der Pflichtverstoß so krass ist, dass er eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Diese muss dann auch fristlos erfolgen und nicht mit sozialer Auslauffrist.
  • Der Arbeitgeber hatte aber mit Auslauffrist gekündigt. allein dadurch gab er zu erkennen, dass er den Pflichtverstoß für nicht stark genug ansah und dass er eigentlich nur ordentlich hätte kündigen wollen. Das durfte er aber nicht.

FAZIT: Schwer zu verstehen, dieser Fall. So wird´s leichter:

Arbeitgeber müssen sich nur merken, dass bei tariflich „unkündbaren“ Arbeitnehmern eine verhaltensbedingte Kündigung nur als fristlose Kündigung möglich ist. Das bedeutet, der Pflichtverstoß muss so groß sein, dass er diesen Schritt rechtfertigt. Ist er geringer, gibt´s keine Kündigung, sondern eine Abmahnung, die dann die fristlose Kündigung vorbereiten hilft.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Blog

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