16 Dez
2013

Statt Werkvertrag (Scheinwerkvertrag) nun Arbeitnehmerüberlassung Beratungsbedarf für Ingenieurdienstleister

Ingenieurdienstleister stehen derzeit vor der Herausforderung, sich eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besorgen zu müssen, um heil über das Minenfeld des AÜG (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) und der dazugehörigen Geschäftsanweisungen der Agentur für Arbeit zu kommen. Mein Augenmerk gilt in diesem Artikel den Ingenieurdienstleistern, die eine Hand voll Mitarbeiter an einen großen Kunden „ausleihen“, deren Kerngeschäft mit dem deutlich größeren Rest ihrer Mannschaft aber keineswegs die Arbeitnehmerüberlassung ist. Diese Ingenieurdienstleister werden derzeit vermehrt von ihren ehemaligen Werkvertragskunden aufgefordert, sich eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu besorgen. Warum?

Früher, als die Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland noch stark reglementiert und vor allem die Überlassungsdauer zeitlich begrenzt war (gesetzlich festgelegt), bestand bei großen Firmen gleichwohl das Bedürfnis für flexiblen Personaleinsatz. Da das deutsche Kündigungsschutzrecht auch damals schon streng war, gab es gewisse Vorbehalte, eigenes Personal im großen Stil aufzubauen. Gerade für Bereiche, in den die Konjunktur stark schwankte gab es den Bedarf, Personal schnell auf- und wieder abzubauen. Über die Arbeitnehmerüberlassung konnte man das Problem nicht lösen, weil oft Projekte von mehreren Jahren Dauer mit fremdem Personal bearbeitet werden sollten.

Juristen rauchte der Kopf und die Lösung hieß: Werkvertrag. Nun ist das, was sich Juristen am Schreibtisch ausdenken nicht immer leicht von (beispielsweise) Ingenieuren in der Praxis umzusetzen. Denn die Anforderungen, die die firmeninternenen oder auch externen Juristen für den Werkvertrag vortrugen, waren und sind enorm:

  • es musste ein Werk klar definiert sein,
  • es durfte keine Vermischung des eigenen mit dem fremden Personal stattfinden,
  • die Fremden mussten auch äußerlich erkennbar sein,
  • sie mussten getrennt sitzen,
  • durften keine Weisungen von internen Mitarbeitern bekommen
  • etc.

Zu Beginn einer solchen Geschäftsbeziehung mochte das alles noch funktionieren. Nach und nach schliffen sich die Unterschiede jedoch ab. Es wurden immer mehr Weisungen von internen Mitarbeitern an die Fremdarbeitskräfte erteilt. Sie wurden immer mehr Teil der eigenen Belegschaft – integriert sozusagen.

Aus einstmals legalen Werkverträgen wurden sogenannte Scheinwerkverträge. Das bedeutete: illegale Arbeitnehmerüberlassung und das bedeutete, dass die Verträge zwischen den Fremdmitarbeitern und ihren Vertragsarbeitgebern unwirksam waren und per gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher entstanden war. Das, was der Entleiher gerade nicht wollte, war geschehen.

Nun hat sich der Bedarf an einem flexiblen Personaleinsatz aber nicht geändert.

Also wird die gute alte Arbeitnehmerüberlassung wieder herausgekramt. Ist ja auch praktischer als früher. Im Gesetz gibt es keine klare Grenze für die Überlassungsdauer. Also alles easy. Erlaubnis her und weiter gehts.

Leider ist es nicht ganz so einfach. So eine Erlaubnis muss sorgfältig beantragt werden. Das AÜG ist ein kompliziertes Gesetz und es gibt immerhin 84 Seiten Geschäftsanweisungen der Agentur für Arbeit. Das sind Verwaltungsvorschriften für alle Agenturen, die von der Bundesagentur herausgegeben werden, damit die Anwendung des AÜG bundesweit einheitlich erfolgt.

Man kann schon als erstes über den Grundsatz von equal pay und equal treatment stolpern. Die Agentur für Arbeit verlangt, dass der Verleiher – also der Ingenieurdienstleister – bei seinem Kunden – also dem großen und mächtigen Entleiher – die Bezahlung und sonstigen Arbeitsbedingungen eines Stammarbeitnehmers beim Entleiher abfragt. Die Agentur für Arbeit verlangt, dass praktisch die beiden Mitarbeiter einander gegenüber gestellt werden und die Bezahlung und sonstigen Bedingungen einzeln aufgelistet werden. Jetzt haben Sie als Ingenierdienstleister gleich 2 weitere Probleme:

  1. Wird Ihr Kunde Ihnen diese Fakten nicht liefern.
  2. Selbst wenn Ihnen Ihr Kunde die Fakten verrät, wird es nie reichen. Sie werden die Agentur nicht zufrieden stellen können. Das ergibt sich zwar nicht aus dem AÜG und auch nicht aus der EU Richtlinie, die den Grundsatz von equal pay/equal treatment geregelt hat. (In der Richtlinie ist klar gereglt, was unter equal pay/equal treatment zuverstehen ist. Die Agentur sagt aber, es sei nicht klar geregelt. Fertig. Sie bekommen die Erlaubnis von der Agentur also diskutieren Sie nicht.)

Eine andere Lösung muss her. Sie müssen einen Branchentarifvertrag der Zeitarbeit auf das Arbeitsverhältnis anwenden. Anders kommen Sie aus der Nummer equal pay/equal treatment nicht heraus. Wenn Sie jetzt denken, es sei ganz einfach einen solchen Tarifvertrag in den Arbeitsvertrag mit Ihrem zukünftigen Leiharbeitnehmer einzubeziehen, dann haben Sie sich schon wieder geschnitten. Auch wenn das Bundesarbeitsgericht die Tarifpluralität (mehrere Tarifverträge können in einem Unternehmen gelten) längst zugelassen hat, schert sich die Agentur nicht darum. Da Sie nämlich ein Mischbetrieb sind, dessen Kerngeschäft NICHT die Arbeitnehmerüberlassung ist, dürfen Sie laut Agentur für Arbeit nicht einfach so einen Zeitarbeitstarifvertrag anwenden. Zeitarbeit ist ja gar nicht Ihre Branche.

Doch auch dafür gibt es eine Lösung: Sie gründen einfach eine eigene Betriebsabteilung „ANÜ“. Und wie das alles funktioniert, verrät Ihnen Ihr Anwalt :-)

By the way: Wir haben noch gar nicht die üblichen Knebelverträge der Entleiher in diesen Fällen angesprochen. Sie werden ja auch mit dem übermächtigen Entleiher, Ihrem Kunden, einen Vertrag über die Arbeitnehmerüberlassung schließen müssen. Darin werden oft auch sehr verleiherfeindliche Regelungen getroffen. Man hat zwar als Kleiner nicht viel Spielraum aber manchmal kann man Klauseln „heraus verhandeln“ und wenn man sie schon nicht wegbekommt, sollte man doch wenigstens wissen, was auf einen zukommt – oder?

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Arbeitswelt heute Blog

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