Urteil des BAG vom 19.4.2012 (2 AZR 258/11 – bisher nur Pressemitteilung Nr. 32/12)
Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Arbeitnehmer vor (sexueller) Belästigung durch Kollegen zu schützen. Tun sie dies nicht, droht ihnen einen Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld nach § 15 AGG.
Der Arbeitgeber, der von (sexuellen) Belästigungen erfährt muss Abhilfe schaffen. Wie er das macht, ist seine Sache. Der belästigte Arbeitnehmer hat auf die Wahl der Mittel keinen Einfluss. Die Kündigung kann in einem Fall von (sexueller) Belästigung ein probates Mittel der Abhilfe sein, wenn andere, mildere Mittel versagen. Grund für die Kündigung ist in so einem Fall die Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, denn Arbeitnehmer sind gehalten, ihre Kollegen in Ruhe zu lassen und den Betriebsfrieden zu wahren.
Einen solchen Fall hatte das Bundesarbeitsgericht am 19.4.2012 zu entscheiden:
Ein Arbeitnehmer war schon seit 1989 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Im Jahr 2007 hatte er einer Kollegin nachgestellt und immer wieder privaten Kontakt zu ihr gesucht. Diese fühlte sich davon belästigt (Stalking) und sagte ihm das auch deutlich. Sie teilte ihm mit, dass sie weder dienstlich noch privat etwas mit ihm zu tun haben möchte. Als er nicht von ihr abließ, leitete sie ein Beschwerdeverfahren nach § 13 AGG ein. In diesem Verfahren wurde dem Stalker vom Arbeitgeber sehr deutlich mitgeteilt, dass sich die Mitarbeiterin von ihm belästigt fühle und weder dienstlichen noch privaten Kontakt zu ihm haben möchte. Dies habe er ohne Vorbehalt zu respektieren. Es solle daher „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ den Kontakt zu ihr unterlassen. Eine formwirksame Abmahnung ist das nicht, was im Weiteren noch eine Rolle spielte.
Im Jahr 2009 hatte es der Stalker dann auf eine beim Arbeitgeber beschäftigte Leiharbeitnehmerin abgesehen. Sie wandte sich an den Arbeitgeber und berichtete folgendes: Der Stalker habe ihr zahlreiche Emails privaten Inhalts geschickt, obwohl sie ihm ausdrücklich gesagt habe, dass sie das nicht wünsche. Des Weiteren habe er sie ohne dienstlichen Grund in sein Büro gerufen oder sie in ihrem Büro aufgesucht und sich wiederholt und immer zudringlicher in ihr Privatleben eingemischt. Schließlich drohte er ihr sogar, wenn sie sich weigere, privaten Kontakt zu ihm zu haben, werde er dafür sorgen, dass sie nicht in ein Arbeitsverhältnis bei dem Arbeitgeber übernommen werde.
Nach Anhörung des Stalkers und der betroffenen Leiharbeitnehmerin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos.
Das Arbeitsgericht hatte die Kündigungsschutzklage des Stalkers abgewiesen. Das LAG hat ihr stattgegeben. Der Arbeitgeber legte beim BAG Revision ein. Das BAG hob die Entscheidung des LAG auf und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an das LAG zurück. Das LAG hatte der Klage stattgegeben, weil es keine ausreichende vorherige Abmahnung sah. Das ist zwar richtig, so das BAG. Aber das LAG hätte prüfen müssen, ob in dem konkreten Fall eine Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt war. Grundsätzlich sei ein Verhalten, wie es der klagende Stalker an den Tag gelegt habe, ein Grund für eine fristlose Kündigung. Das BAG war auch der Ansicht, dass das Beschwerdeverfahren aus dem Jahr 2007 zwar keine Abmahnung sei aber dennoch eine Warnfunktion habe. „Zwischen den Zeilen“ bedeutet dies, dass das BAG der Ansicht ist, dem Stalker habe klar sein müssen, dass ein solches Verhalten beim Arbeitgeber nicht geduldet werde. Da das LAG aber dazu gar keine Feststellungen getroffen hat, musste das BAG zurückverweisen. Das LAG wird nun zu prüfen haben, ob die Warnung aus dem Jahre 2007 ausreicht als Voraussetzung für die fristlose Kündigung.
Vermutlich wird die fristlose Kündigung nach erneuter Prüfung durch das LAG halten und der Stalker wird seinen Job verlieren. Der Arbeitgeber hatte zwar die Formalien der Abmahnung nicht eingehalten aber eine Warnung konnte man in der Anweisung, sich jeglichen Kontaktes zu enthalten, weil sonst das Arbeitsverhältnis gefährdet ist, durchaus sehen. Das neue Verhalten war auch ähnlich gelagert und hatte noch eine zusätzliche drastische Komponente durch die Drohung bekommen. Dem Stalker musste klar sein, dass ihn das den Job kosten würde.
Dieser Fall zeigt, dass Fälle von (sexueller) Belästigung nicht nur aussichtslos sind für die betroffenen (meistens) Arbeitnehmerinnen. Es ist davon auszugehen, dass in dem vorliegenden Fall die Beweislage deshalb gut war, weil der Stalker Emails geschrieben hatte. Die Leiharbeitnehmerin war also nicht auf Zeugen angewiesen und es stand auch nicht „ Aussage gegen Aussage“, weil sie Schriftstücke vorlegen konnte. Hätte der Arbeitgeber hier nichts unternommen, hätte sie ggf. auf Zahlung eines Schmerzensgeldes (§ 15 AGG) klagen können.
Mehr Informationen vom Rechtsanwalt bekommen Sie hier:
Anwaltskanzlei für Arbeitsrecht – Rechtsanwältin Dr. Sandra Flämig
Liebknechtstraße 33, 70565 Stuttgart
Tel.: + 49 711 35 108 34 – Fax: + 49 711 350 95 60
Email: flaemig(at)kanzlei-flaemig(dot)de
https://www.kanzlei-flaemig.de