5 Apr
2012

Sind Sie schwerbehindert? Wer lügt, kann seinen Kündigungsschutz verlieren.

Man kann schon den Überblick verlieren. Nun hatten Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes daran gewöhnt, dass die Frage nach dem Status als Schwerbehinderter bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses unzulässig ist. Der Gesetzentwurf eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes, der aus europarechtlichen Gründen noch immer „auf Eis liegt“, zielt in dieselbe Richtung. Er sieht für Arbeitgeber ein Verbot vor, vor Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses Auskunft über das Vorliegen einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung einzuholen.

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Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Pressemitteilung zu einer Entscheidung vom 16.02.2012 (6 AZR 553/10) mitgeteilt, dass die Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis doch zulässig sein soll.

 Herrscht nun totale Verwirrung?

Mit Nichten. Das BAG trifft eine weise Entscheidung, indem es sehr wohl abwägt, ob und ab wann der Arbeitgeber bzw. der Arbeitnehmer des besonderen gesetzlichen Schutzes bedarf.

 

Im zu entscheidenden Fall stand ein mit einem Grad der Behinderung von 60 Schwerbehinderter in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Als über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bat der Insolvenzverwalter den Schwerbehinderten einen Fragebogen auszufüllen, der zur Vervollständigung bzw. Überprüfung von Daten dienen sollte. Der Insolvenzverwalter wollte mit Blick auf beabsichtigte Kündigungen unter anderem wissen, ob der Kläger schwerbehindert bzw. einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist. Der Kläger verneinte seine Schwerbehinderung. Erst in der Klageschrift teilte er seine Schwerbehinderung mit und rügte die Unwirksamkeit der Kündigung mangels vorheriger Zustimmung des Integrationsamts.

 

Das BAG ist der Linie der Vorinstanz gefolgt und hat dem Kläger abgesprochen, sich auf den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen zu können, weil er die Frage nach der Schwerbehinderung wahrheitswidrig verneint hat.

Das Gericht betont, dass die Frage nach der Schwerbehinderung in der Vorbereitungsphase arbeitgeberseitiger Kündigungen im Zusammenhang mit den gesetzlichen Pflichten zu sehen ist, die Arbeitgeber -nicht zuletzt zum Schutz- von Schwerbehinderten zu treffen habe. So ist die Schwerbehinderung bei der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen zu berücksichtigen. Der Arbeitgeber muss bei Schwerbehinderten, die nach sechs Monaten dem Sonderkündigungsschutz des § 85 SGB IX unterliegen, das Integrationsamt um vorherige Zustimmung ersuchen, ehe er eine Kündigung aussprechen kann.

 

Um den Schutz des Arbeitnehmers zu wahren, sieht das BAG „jedenfalls nach sechs Monaten“ und damit nach Erwerb des Sonderkündigungsschutzes für behinderte Menschen die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis als zulässig an.

 

Die Entscheidung zur Frage nach der Schwerbehinderung verdeutlicht, dass sich rund um das Thema Schwerbehinderung viele Fehlerquellen ranken, die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gravierendem Rechtsverlust und beträchtlichen finanziellen Schäden führen können.

 

Als Arbeitnehmer gilt es die maßgeblichen Anträge auf Anerkennung als Schwerbehinderter zur rechten Zeit zu stellen und diese Informationen fristgerecht gegenüber dem Arbeitgeber mitzuteilen, wenn Ihnen eine Kündigung zugeht. Nur so verhindern Sie, dass Ihnen Rechtspositionen unwiederbringlich verloren gehen.

 

Für Arbeitgeber bleibt immer wieder die spannende Frage, ab wann sie als „bösgläubig“ in Sachen Schwerbehinderteneigenschaft gelten und damit zumindest vorsorglich eine Zustimmung des Integrationsamts vor Ausspruch einer Kündigung einholen müssen. Hier sorgte die Entscheidung des BAG vom 09.06.2011 (2 AZR 703/09) für Überraschung, wonach Arbeitgeber die vorsorgliche Zustimmung des Integrationsamts vor Ausspruch einer Kündigung bereits dann einholen müssen, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber vor dem Zugang der Kündigung nur den Hinweis erteilt hat, dass er einen Antrag auf Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung gestellt habe. Da der Arbeitgeber von dem Antrag vor dem Ausspruch der Kündigung wusste, sah das BAG in dieser speziellen Konstellation keine Notwendigkeit des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung seine zu diesem Zeitpunkt bereits anerkannte Schwerbehinderung durch Vorlage des Feststellungsbescheids nachzuweisen.

 

Fazit: Der Nebel beim Fragerecht nach der Schwerbehinderung lichtet sich mit der jüngsten Entscheidung des BAG, was bleibt sind die unsichtbaren Fallstricke des Schwerbehindertenrechts in Detailfragen, die Sie mit fachkundiger Beratung umgehen können.

Mehr Informationen vom Rechtsanwalt bekommen Sie hier:
Anwaltskanzlei für Arbeitsrecht – Rechtsanwältin Dr. Sandra Flämig
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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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