20 Dez
2012

Sexuelle Belästigung – Innensicht für Opfer und Täter

Die Veröffentlichungen zu sexuellem Missbrauch füllen Regale und sind vielschichtig. Opfer- und Tätererzählungen, vermeintlich neutrale Leitfäden von Experten und vieles mehr. Eine Sichtweise ist vergleichsweise neu und beschreibt diese meist vertuschten Vorfälle in einem klaren Licht, es ist der Ansatz des Psychotherapeuten und Psychologieprofessors Franz Ruppert. Wer Opfer oder auch Täter ist (meist haben beide sogenannte Opfer- und Tätererfahrungen zugleich) hat unterschiedliche Formen von Traumatisierungen, die dieses Verhalten nach sich ziehen. Die entscheidende Frage, die er sich stellt(e): Wie wird ein Mensch zum Täter und wie wird er zum Opfer?

Er schreibt: „Täter wird man, indem man einem anderen Menschen einen schweren Schaden zufügt, körperlich oder psychisch oder beides zugleich“ (Ruppert, S.131). Durch dieses Geschehen wird ein anderer Mensch zum Opfer und beide müssen der Schädigung bzw. dem Schaden zurecht kommen und sich damit auseinandersetzen. Dazu ist es notwendig, die Schuldfrage zu klären, Verantwortlichkeiten anzuerkennen und eine Kompensation für den Schaden auszuhandeln. In dem Fall des Urteils der Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, das Rechtsanwältin Dr. Sandra Flämig in diesem Magazin am 13.12.2012 kommentiert, werden diese Fragen öffentlich gestellt. Das ist sicherlich passend und hilft anderen Opfern und Tätern hoffentlich bei der Bewältigung bereits vergangener Geschehnisse. So können in dem Fall Opfer und Täter das Vorkommnis vielleicht nach einiger Zeit auf sich beruhen lassen. Vielleicht hat aber auch das Opfer Zeit seines Lebens unter den Folgen zu leiden und der Täter muss daran denken, dass er einem anderen Menschen bleibenden Schaden zugefügt hat.

Zusätzlich zur öffentlichen Klärung bedarf es sicherlich auch einer Innenschau: „Wie konnte mir das passieren?“, ist die Frage, die beide sich stellen müssen. Dieser Blick nach Innen offenbart vielleicht ähnliche Erfahrungen, die man schon früher gemacht hat oder Erfahrungen von nahestehenden Verwandten, die auch so gehandelt haben. Wenn nämlich diese Fragen innerlich und untereinander (ggf. in der Öffentlichkeit) nicht geklärt werden, bleiben beide in einer Täter- bzw. Opferhaltung. Dann bleiben beide meist voneinander abhängig: „Die Täter fühlen sich durch das Vorhandensein ihres Opfers unter Druck gesetzt und erleben sich selbst in der Rolle des Opfers. Die Opfer entwickeln Täterhaltungen, die sie, weil sie gegen die eigentlichen Täter keine Chance sehen, bei Gelegenheit gegenüber Schwächeren zum Ausdruck bringen.“ (Ruppert, 134)  In der Psyche beider Beteiligten wird so eine Spaltung etabliert, die sich meist auch über Generationen hinwegsetzen. „Denn weder in einer Täter- noch in einer Opferrolle ist man in der Lage ein autonomes Leben zu führen“ (Ruppert, 134).

Geht man davon aus, dass diese im Fall beschriebenen Handlungen von selbst bereits traumatisieren Menschen ausgeführt werden, dann ist die innere und öffentliche Auseinandersetzung unabdingbar notwendig, damit Traumata und die Täter/Opferhaltungen

  1. nicht in der eigenen Familie weitergegeben werden
  2. andere auf eigene Themen in ihrem eigenen Leben hingewiesen werden

Diese Auseinandersetzung führt mit Sicherheit zur Auseinandersetzung mit den eigenen Schmerzen, Gefühlen und Ängsten und gleichzeitig auch zu einer gesunden Autonomie und lebendigen Lebenskraft.

 

Literatur: Ruppert, Franz (2012): Trauma, Angst & Liebe. Kösel, München

 

 

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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