Was sich „liebt“, das neckt sich, so der Volksmund. Auf diese Weisheit sollten sexuelle Belästiger unter Geltung des AGG nicht vertrauen, wenn sie unter dem Vorwand, nur einen Spaß machen zu wollen, Arbeitskollegen/innen körperlich oder verbal zu nahe treten.
Das Bundesarbeitgericht (BAG) hat am 09.06.2011 eine wichtige Entscheidung zur sexuellen Belästigung unter Arbeitskollegen getroffen und anders als die Vorinstanz eine außerordentliche, fristlose Kündigung für rechtswirksam erklärt. Geklagt hatte ein 1950 geborener Einkäufer und Produktmanager, der seit dem Jahr 1976 im Unternehmen beschäftigt war. Im Oktober 2007 erhielt er eine Abmahnung, weil er einer Mitarbeiterin einen „Klaps auf den Po“ gegeben hatte. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Juni 2008 machte er bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts gegenüber einer 26-jährigen Einkaufsassistentin. Zunächst fragte er die Kollegin, warum sie denn keinen Minirock an hätte und auf die Leiter steige, dies hätte er so von ihr erwartet. Ein anderes Mal äußerte er gegenüber derselben Kollegin, nachdem sie sich einen Alu-Zollstock ausgeliehen hatte: „Der ist so hart und dick wie meiner“. Dann fragte er die Kollegin, ob sie noch nie Sex beim Essen gehabt habe. Und last but not least sagte er zu ihr:“ Du kannst auch Sex von mir haben.“
Der Arbeitgeber hörte den Einkäufer daraufhin zu den Vorwürfen an und holte die Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung ein. Mit seiner Klage gegen die Kündigung wies der Einkäufer eine sexuelle Belästigung mit der Bemerkung von sich, er habe die Einkaufsassistentin doch nur necken wollen.
Ein bisschen Spaß muss sein? Das BAG sagt: NEIN!
Das sah das BAG anders. Das AGG regelt die sexuelle Belästigung in § 3 Abs. IV. Danach ist eine sexuelle Belästigung eine Benachteiligung in der Arbeitswelt, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu unter anderem auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
Doch was steckt hinter diesen abstrakten Begriffen? Das BAG bringt Klarheit in diese juristische Begriffswelt und zeigt zugleich auf, dass es sexuelle Belästigung in Zeiten des AGG anders und strenger definiert als noch zu Zeiten des früheren Beschäftigtenschutzgesetzes, das mit dem AGG außer Kraft getreten ist.
Die Verletzung der Würde ist nach Ansicht des BAG bereits dann „bewirkt“, wenn die Belästigung als solche eintritt. Potentielle Täter können sich nicht darauf berufen, sie hätten ganz andere Absichten oder Vorstellungen gehabt. Für die Unerwünschtheit der Verhaltensweise ist nur maßgeblich, ob sie objektiv erkennbar war. Anders gesagt, die Betroffene muss ihre Ablehnung gegenüber der fraglichen Verhaltensweise nicht (erst) aktiv zum Ausdruck gebracht haben.
Unter dieser Prämisse sah das BAG in den vierfachen Bemerkungen des Klägers eine sexuelle Belästigung, die zugleich eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten darstellt und „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Die bei außerordentlichen Kündigungen vorzunehmende umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände konnte den Arbeitsplatz des Klägers nicht mehr retten. Obwohl der Kläger über eine beträchtliche Betriebszugehörigkeit verfügte und bereits älteren Semesters war, fiel die Interessenabwägung zu seinem Nachteil aus. Die Abmahnung, die er knapp ein Jahr vor den verbalen Zwischenfällen erhalten hatte, war quasi die gelbe Karte. Der Kläger musste wissen, dass er bei der nächsten gleichartigen Verfehlung mit der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen musste.
Wie sehr das Antidiskriminierungsrecht im Bereich sexuelle Belästigung in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckt, wird deutlich, wenn man sich die Argumentation der Vorinstanz vor Augen hält. Das Landesarbeitsgericht Hamm sah in dem aktuellen verbalen Fehlverhalten keinen inneren Zusammenhang zu dem vorausgegangenen Klaps auf den Po. Trotz der Abmahnung für die körperliche Verfehlung aus dem Jahr 2007 rechtfertige das verbale Fehlverhalten des Klägers keine negative Zukunftsprognose und damit keine außerordentliche Kündigung.
Das BAG verwarf diese Rechtsansicht. Es differenziert bei den Abmahnungs- und Kündigungsgründen bei der sexuellen Belästigung nicht nach körperlichen oder wiederholten verbalen Übergriffen und sieht hier meines Erachtens zu recht keine Wertigkeitsunterschiede.
Fazit: So unangenehm das Thema für alle Beteiligten sein mag, die BAG Entscheidung macht deutlich, dass das Tabuthema sexuelle Übergriffe und Arbeitswelt unter Geltung des AGG einer strengeren juristischen Kontrolle unterzogen wird.
Arbeitgeber müssen bei Verstößen geeignete Maßnahmen ergreifen, um sexuelle Belästigungen dauerhaft zu unterbinden. Arbeitnehmer müssen weit vor einer Ablehnung ihres Verhaltens erkennen, dass ihr Tun unerwünscht ist. Sexuell bestimmte Bemerkungen und Gesten gehören nicht an den Arbeitsplatz, da das BAG für derartige Verhaltensweisen kein Verständnis zeigt.
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