8 Jul
2013

Schadensersatz wegen Diskriminierung: Anspruch auf Einladung zum Vorstellungsgespräch

Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in seiner Entscheidung vom 24.1.2013 (Az.: 8 AZR 188/12) mit einer versteckten aber für Arbeitgeber tückischen Norm aus dem Schwerbehindertenrecht zu beschäftigen. Die Rede ist von § 82 SGB IX. Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Bewerber bei öffentlichen Arbeitgebern einen Individualanspruch auf ein Vorstellungsgespräch. Was zunächst harmlos daher kommt, bekommt eine für den Arbeitgeber kostspielige Schärfe durch die Kombination der Vorschriften §§ 15, 22 AGG und Art. 33 Abs. 2 GG.

In § 82 SGB IX heißt es:

„Die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber melden den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze (§ 73). Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Eine Einladung ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Einer Integrationsvereinbarung nach § 83 bedarf es nicht, wenn für die Dienststellen dem § 83 entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden.“

§ 15 Abs. 2 AGG lautet wie folgt:

„Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.“

§ 22 AGG lautet wie folgt:

„Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.“

Art 33 Abs. 2 GG lautet schließlich:

„Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“

Folgenden Sachverhalt hatte das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden:

Ein öffentlicher Arbeitgeber hatte Kraftfahrer gesucht. Anforderung war, dass qualifizierte Fahrzeuge zu führen seien (überschwere Fahrzeuge und Messfahrzeuge), die besondere Anforderung an spurgenaues Fahren stellten. Der schwerbehinderte arbeitslose Kläger, der im Besitz des Führerscheins mehrere Klassen und eines Personenbeförderungsscheins war, bewarb sich.

Der Arbeitgeber bekam über 100 Bewerbungen, darunter die von 14 schwerbehinderten Menschen. Neben 6 nichtbehinderten Menschen wurden 2 Schwerbehinderte zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Kläger wurde nicht eingeladen. Bei der Auswahl der Bewerber war die Vertrauensperson der Schwerbehinderten zugegen und hatte auch zugestimmt. Eigentlich klingt das alles korrekt und der Arbeitgeber hat sich auch im Recht gefühlt.

Der Kläger verklagte den Arbeitgeber jedoch auf Schadensersatz in Höhe von 3 Bruttomonatsgehältern. Das Arbeitsgericht hatte seiner Klage in Höhe von 2 Gehältern stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte schließlich Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass dem Kläger ein Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach zusteht und hat den Fall an das LAG zurückverwiesen, wo noch über die Höhe entschieden werden muss.

Das Bundesarbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass § 82 SGB IX dem schwerbehinderten Menschen einen eigenen Anspruch auf ein Vorstellungsgespräch gewährt. Lediglich bei „offensichtlichem fehlen fachlicher Eignung“ darf der Arbeitgeber von einer Einladung absehen. Es nütze dem Arbeitgeber daher nichts, dass er vortrug, er habe die geeignetsten Bewerber mit der größten Erfahrung eingeladen, denn laut Bundesarbeitsgericht ist die Vorschift des § 82 SGB IX abschließend. D.h., nur die offensichtliche fachliche Nichteignung taugt als Rechtfertigung für eine fehlende Einladung.. Die Tatsache, dass ein schwerbehinderter Bewerber eines öffentlichen Arbeitgebers nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, ist ein Indiz im Sinne des § 22 AGG, das zu einer Beweislastumkehr führt. Der Arbeitgeber muss nun den Vollbeweis dafür antreten, dass er den jeweiligen Menschen nicht wegen der Behinderung nicht eingeladen hat. Es nützt ihm nichts, dass er überproportional viele Schwerbehinderte eingeladen hatte. Er hätte alle, die nicht offensichtlich ungeeignet sind, einladen müssen. Da der Arbeitgeber im öffentlichen Dienst gemäß Art. 33 Abs. 2 GG verpflichtet ist, die Menschen nur nach Eignung zu bewerten, fallen auch andere denkbare Rechtfertigungsgründe aus. Der Arbeitgeber saß in der Falle und muss zahlen.

FAZIT: Als öffentlicher Arbeitgeber sollte man unbedingt alle schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Zwar gibt es den Rechtrfertigungsgrund „offensichtlich fehlende fachliche Eignung“ aber dieser Begriff ist so wachsweich, dass er viele Ansatzpunkte für Diskussionen bietet und Diskussionen bedeuten stets: „Ein bisschen was geht immer.“ ….

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Blog

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