3 Okt
2013

„Guter“ Durchschnitt – Rechtsprechungsänderung beim Zeugnis?

Grundsätzlich ist es so, dass ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf ein durchschnittliches Zeugnis hat. Will der Arbeitgeber ein unterdurchschnittliches Zeugnis erteilen, dann muss er beweisen, dass der Arbeitnehmer schlechter war als der Durchschnitt. Will der Arbeitnehmer ein besseres Zeugnis als Durchschnitt, muss er beweisen, dass er besser war. In der Regel gelingen diese Beweise nicht. Das zeigt die Erfahrung. Die spannende Frage ist nun: Was ist ein durchschnittliches Zeugnis?

Das Bundesarbeitsgericht hat bisher immer gesagte, dass ein Zeugnis mit einer Note 3 ein durchschnittliches Zeugnis ist. Sie kennen sicherlich die Gaußsche Glockenkurve. Danach sind bei Schulnoten immer ein paar Einsen und Zweien, viele Dreien und wenige Vieren und Fünfen. Bei Arbeitszeugnissen ist das jedoch nicht so. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass mehr als 86 % der Zeugnisse zwischen einer Note 1 und einer Note 2 liegen.

Dieses Jahr hat es daher eine beginnende Änderung in der Rechtsprechung gegeben: Das Arbeitsgericht Berlin (28 Ca 18230/11) hat sich davon überzeugen lassen, dass bei einem Anteil von 86% bei den Noten 1 und 2 die Note 3 nicht mehr Durchschnitt sein kann. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (18 Sa 2133/12) hat diese Ansicht bestätigt. Der Fall liegt beim Bundesarbeitsgericht (9 AZR 584/13) zur Revision. Es ist derzeit noch nicht absehbar, ob auch das BAG sich der Ansicht anschließt.

Das heißt für Arbeitnehmer, dass sie nun mit Hilfe dieser neuen Rechtsprechung argumentieren können, dass ihnen mindestens ein Zeugnis mit einer Note 2 zusteht, wenn der Arbeitgeber nicht schlechtere Leistungen nachweisen kann. Bis das BAG das entschieden hat, ist diese Argumentation aber nicht wasserdicht.

Es wäre gut, wenn das Bundesarbeitsgericht sich dem LAG anschließen würde. Das würde die traurige Wirklichkeit der Zeugniserteilung widerspiegeln. Zeugnisse, die sich nur zwischen Note 1 und Note 2 bewegen, können nicht wahrheitsgemäß sein.

Das Zeugnis ist zu einem Ritual verkommen, das man eben durchführt, weil man es schon immer so gemacht hat und ohne das es keinen Eintritt in ein neues Arbeitsverhältnis gibt. Arbeitgeber sagen mir offen, dass sie Zeugnisse gar nicht mehr lesen, weil da eh nur Mist drin steht, den man nicht glauben kann. Arbeitnehmer sagen mir, dass sie ohne Zeugnis kein Bewerbungsgespräch bekommen. Beide sagen die Wahrheit! Das ist doch ausgemachter Käse! Man sollte die qualifizierten Zeugnisse endlich abschaffen. Einfache Zeugnisse reichen aus, um zu beschreiben, was genau der Arbeitnehmer beim Arbeitnehmer getan hat und in welchen Zeiträumen. Wer wirklich gut ist, kann sich ein Empfehlungsschreiben geben lassen.

Mal sehen, was die Zukunft bringt. Zeugnisse, die nur 2 von 5 möglichen Noten ausschöpfen gehören jedenfalls abgeschafft.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Blog

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