31 Jul
2014

Prokurist klaut schamlos, daher kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn

Bei manchen Fällen werde ich immer wieder darin bestätigt, dass die unglaublichsten Fälle wirklich das Leben schreibt. So auch bei dem vom BAG am 16.4.2014 (5 AZR 739/11) entschiedenen Fall. Das Bundesarbeitsgericht hatte hier eine Entscheidung getroffen, die sicherlich stammtischtauglich aber juristisch nicht so ganz „hasenrein“ ist. Arbeitgeber sollten dieses Urteil nicht als Freifahrtschein sehen sondern daraus lernen, wie man bei eindeutigen Sachverhalten richtig kündigt und wie man sich eine bombensichere Kündigung durch banale Formfehler zunichte machen kann.

Ein Arbeitnehmer, geboren 1950, war seit 1977 bei einem Unternehmen beschäftigt. Seit Anfang der 80er Jahre war er Prokurist. und zuletzt als Leiter Buchhaltung/Finanzen/Personal beschäftigt.

Mit der Zeit war er wohl so stark mit der Firma verwachsen, dass er begann, „Mein und Dein“ zu verwechseln und so brachte er mindestens 280.568 Euro, die der Firma und damit seinem Arbeitgeber gehörten an sich. Das ist der Betrag, der ihm sicher nachgewiesen werden konnte. Der Arbeitgeber vergab ihm. Er gab ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Man pfändete daraufhin ab sofort den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens und beschäftigte ihn weiter. Eigentlich gar nicht so ungeschickt, denn wo sollte das Geld herkommen? Doch der Mann wurde rückfällig und bestahl seinen Arbeitgeber erneut. Abgesehen davon, dass er auch bei anderen Gläubigern rund 50.000 Euro Schulden hatte, die nun von seinem Einkommen gepfändet werden sollten, ist das ein starkes Stück. Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer am 10.5.2007 fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und gewann! Warum? Weil der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht richtig angehört hatte! Es ist unfassbar, dass ein Arbeitgeber, dessen Kündigung wie ein heißes Messer durch die Butter gegangen wäre, an so etwas scheitert. Der Arbeitgeber hatte aber wegen weiterer Veruntreuungen, die inzwischen herausgekommen waren, erneut am 15.8.2007 gekündigt. Der Arbeitnehmer erhob Klage und gewann auch diesmal, weil der Betriebsrat nicht richtig angehört worden war….

Inzwischen war aufgrund der Strafanzeige des Arbeitgebers ermittelt und angeklagt worden. Dem Prokuristen wurden 74 Straftaten zum Nachteil seines Arbeitgebers vorgeworfen. Wegen 67 Taten wurde er verurteilt: 1 Jahr und 5 Monate, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Nach dem Strafurteil kündigte der Arbeitgeber am 22.9.2009 wieder fristlos hilfsweise ordentlich und hatte nun endlich Erfolg. Der Arbeitnehmer unterlag mit seiner Kündigungsschutzklage in allen 3 Instanzen. Dann machte er aber den sogenannten Annahmeverzugslohn gelten. Er war nämlich seit der ersten Kündigung vom 10.5.2007 freigestellt worden. Somit wollte er Gehalt bezahlt haben. Das ist schon Chuzpe! Er unterlag in allen 3 Instanzen. Das ist sicherlich nachvollziehbar, denn es ist ein wirklich unerträglicher Gedanke, dass ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitgeber derart schamlos beklaut, auch noch Geld von diesem Arbeitgeber bekommen soll. Doch juristisch sauber ist das Urteil deswegen nicht: Der Arbeitgeber gerät in Verzug der Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, wenn er dessen Dienste nicht annimmt. Bei einer Kündigung ist dies in der Regel der Fall- Der Arbeitgeber bringt durch die Kündigung zum Ausdruck, dass er die Arbeitsleistung nicht mehr annehmen will. Wenn der Arbeitnehmer nun die Kündigungsschutzklage gewinnt, dann ist ja rückblickend betrachtet das Arbeitsverhältnis gar nicht beendet gewesen. Die Arbeitsleistung kann aber nicht mehr nachgeholt werden. Der Arbeitgeber war mit der Annahme im Verzug und muss das Gehalt zahlen, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem vorliegenden Fall aber entschieden, dass es dem Arbeitgeber gar nicht zumutbar war, die Arbeitsleistung entgegen zu nehmen, weil der Arbeitnehmer sich hat so schwere Pflichtverstöße zuschulden kommen lassen. Schon das Angebot der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer sei daher hier treuwidrig. Er habe wissen müssen, dass der Arbeitgeber die Arbeitsleistung nicht annehmen kann.

Warum ist diese Lösung zwar menschlich in Ordnung aber juristisch zu kritisieren? Weil damit neben dem Kündigungsschutzgesetz und vorbei am Betriebsrat etc. die Möglichkeit eröffnet wird, einen Arbeitnehmer loszuwerden – zumindest finanziell „kalt zu stellen“. Das sieht das Gesetz aber nicht vor. Es ist vielmehr notwendig, bei eindeutigen Sachverhalten juristisch sauber zu kündigen und dafür vielleicht auch juristischen Rat durch einen Anwalt einzuholen. Arbeitgeber sollten diese Entscheidung daher im Ergebnis eher nicht als Einladung auffassen, schlampig zu kündigen und dann darauf zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht wegen „Unerträglichkeit eines juristisch korrekten Ergebnisses“ mehrere Augen zudrückt.

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Blog

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