16 Apr
2010

„Ossi Urteil“ Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft

von Dr. Sandra Flämig Rechtsanwalt – Fachanwältin für Arbeitsrecht – Stuttgart

Am 15.4.2010 wurde das Urteil im sogenannten „Ossi Prozess“ gesprochen. Eine Frau, die schon seit 1988 in Süddeutschland lebt, weil sie aus Ostberlin damals noch per Ausreiseantrag dorthin gezogen war, hatte sich bei einer schwäbischen Fensterbaufirma beworben. Sie bekam die Bewerbung zurück. Auf den Unterlagen war handschriftlich vermerkt „(-) Ossi“. Das bedeutet wohl „Abgelehnt, weil Ossi“. So wird es auch gemeint gewesen sein. Wie denn sonst? Es soll hier gar nicht darum gehen, wie der Arbeitgeber versucht hat, sich aus der Affäre zu ziehen oder darum, ob die Frau für diesen Job wirklich die geeignete war. Das wissen wir gar nicht.

Die einzig interessante Frage an diesem Fall ist, ob ein Ossi zu einer besonderen Ethnie, nämlich der der Ostdeutschen, gehört. Wenn dies so wäre, so hätte die Klägerin einen Anspruch aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, weil sie wegen ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert wurde. Das Arbeitsgericht Stuttgart war der Ansicht, dass Ostdeutsche keiner eigenen Ethnie im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzangehören. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie drücke sich durch gemeinsame Traditionen, Sprache, Religion, Kleidung, Kultur o.Ä. aus. Das sei bei den Ostdeutschen nicht der Fall. Diese Einschätzung ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Zwar sind Ostdeutsche auch Deutsche aber in 40 Jahren hat sich eine eigenen Kultur, Sprache und Tradition entwickelt. Wer sich genauer mit dem Thema auseinander setzt, merkt schnell, dass es eben doch viele kulturelle Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen gibt. Genauso wie es die zwischen Nord- und Süddeutschen geben mag. Die Frage, ob jemand wegen seiner ethnischen Herkunft benachteiligt wird, darf meines Erachtens nicht allein durch die politische Zugehörigkeit zu einer Nation beantwortet werden. Die juristische Kommentarliteratur, die über den deutschen Tellerrand hinausblickt und auch die europarechtliche Dimension dieser Art Fälle betrachtet, sieht das nämlich ganz anders als das Arbeitsgericht Stuttgart.

Danach sind Personen gegen die sich Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft richtet solche, die aufgrund bestimmter Unterschiede als zu einer bestimmten „Rasse“ oder ethnischen Gruppe zugehörig angesehen werden. Ostdeutsche werden zu den Gruppen gerechnet, die besonders mit Benachteiligungen zu rechnen haben (Schiek AGG Kommentar § 1 Rn. 15). Nach einer OECD-Studie aus dem Jahr 2005 ging der Beschäftigungsgrad Ostdeutscher überproportional zurück, was laut OECD auf eine stark zurückgehende Integrationsbereitschaft gerade gegenüber dieser Gruppe schließen lasse. (Schiek AGG Kommentar § 1 Rn 15). Es kommt also gar nicht entscheidend darauf an, ob jemand objektiv gesehen zu einer bestimmten Ethnie gehört oder ob es diese Ethnie überhaupt gibt. Es kommt auf die subjektive Sicht desjenigen an, der auswählt und damit ggf. diskriminiert. Wenn der Arbeitgeber im vorliegenden Fall also einen Unterschied zwischen „Ossis“ und „Wessis“ gemacht hat, dann geht er davon aus, dass die Gruppe der „Ossis“ sich wesentlich von der der „Wessis“ unterscheidet und dass die eine Gruppe qua Herkunft weniger taugt als die andere – und das ist Diskriminierung auch und gerade im Sinne des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz).

Ist denn immer noch nicht zusammengewachsen, was zusammen gehört? Offensichtlich nicht. Und das wird auch nicht passieren, wenn man sich nicht der kulturellen Unterschiede der Menschen in Ost und West (resp. auch in Nord und Süd) in wertschätzender Weise (gilt beidseitig!) bewusst wird.

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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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