Folgender Fall ist mir neulich in meiner Praxis begegnet:
Bei einem Arbeitgeber, der ausdrücklich nach außen verlautbart, ein gutes Betriebsklima zu haben und und zu wollen, gab es ein Team, in dem sich schon seit Jahren schlechte Stimmung breit machte. Mitarbeiterinnen hatten Nervenzusammenbrüche und kündigten bzw. wechselten die Abteilung. Es kam ein neuer Teamleiter. Er lokalisierte durch einfühlsames Fragen bei den Kolleginnen und Kollegen, dass insbesondere einer alle anderen terrorisiert. Er ging zu seinem Chef, dem das Problem nicht unbekannt war. Er hatte jedoch bislang nichts unternommen „weil wir uns hier doch alle so gut verstehen.“ Klartext: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Er bewilligte jedoch die Hinzuziehung eines Coachs, der sich das Team mal genauer anschauen sollte.
Der Coach sicherte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Stillschweigen zu und hält sich auch daran. Nun offenbarten ihm die Kolleginnen und Kollegen ihr Leid. Ein Kollege schikaniert seine Kolleginnen und Kollegen indem er sie ganz gezielt mit Bemerkungen sehr deutlich unter der Gürtellinie beleidigt. Er hat den Dreh raus, bei jedem genau den wunden Punkt zu finden und drückt diesen immer wieder. Teilweise sind die Kolleginnen und Kollegen untereinander Zeugen für die Vorfälle. Die Kolleginnen und Kollegen wollen aber offiziell keine Aussage machen, denn sie haben Angst, dass alles im Sande verläuft und sie mit ihrem „speziellen Freund“ noch mehr Ärger bekommen, weil sie ihn „angeschwärzt“ haben. In dieser Situation wendet sich der Coach an den Anwalt und fragt, was der von der Sache hält. Aus Sicht des Coachs und auch der Kolleginnen und Kollegen ist es eine „verfahrene Kiste“. Man kommt nicht vor und nicht zurück, weil man sich in dem Unternehmen „ja so lieb hat und keinen wehtun will“.
Der Coach darf nicht zum Chef gehen, denn er hat den Kolleginnen und Kollegen ja sein Wort gegeben, zu schweigen. Aus anwaltlicher Sicht ist das absolut in Ordnung und nachvollziehbar. Jedoch gibt es in so einem Fall Abhilfe. Erst einmal ist das Verhalten des Kollegen zu definieren. Es handelt sich um eine Belästigung bzw. sexuelle Belästigung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 3 AGG). Diese ist durch Zeugen belegbar. D.h., die Kolleginnen und Kollegen sollten untereinander recherchieren, woran genau sie sich noch erinnern, wie man das zeitlich einkreisen kann und ob der jeweils andere das auch wirklich bezeugen kann. Das kann man aufschreiben und damit zum Anwalt gehen. Der kann den Kolleginnen und Kollegen genau sagen, ob in ihrem konkreten Fall eine Belästigung / sexuelle Belästigung vorliegt. Ist das der Fall, tritt entweder der Anwalt oder die Kolleginnen und Kollegen selbst an den Chef heran und teilen ihm den Sachverhalt mit und fordern ihn gleichzeitig auf, Abhilfe zu schaffen. Tut er das nicht, macht sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig. Man kann dem Arbeitgeber zwar nicht vorschreiben, wie genau er Abhilfe schafft (Kündige! Versetze! Mahne ab! – geht alles nicht) aber man kann verlangen, dass Abhilfe geschaffen wird. Der Arbeitgeber muss dann handeln, wenn er sich nicht selbst ins Unrecht setzen will.
Fazit:
Wenn Anwalt und Coach zusammenarbeiten, können Konflikte noch besser oder sogar überhaupt erst gelöst werden. Wenn sich alle immer nur lieb haben und es nie Sanktionen gibt, sollte man misstrauisch werden. In so einem Klima liegt es nahe, dass Dinge unter den Teppich gekehrt werden. Manchmal ist es besser klar und konsequent zu sein – vor allem dann, wenn andere sonst ständig zu leiden haben. Schließlich wird sich das Klima in besagtem Team erheblich verbessern, wenn die Situation wirklich geklärt ist.