25 Sep
2010

Herausgabe von Tarifverträgen – ein ungeklärtes Problem

von Dr. Sandra Flämig – Rechtsanwalt – Fachanwältin für Arbeitsrecht – Stuttgart

Der Teufel steckt oft im Detail. Die Frage, die sich aus der praktischen anwaltlichen Erfahrung stellt, ist: Was mache ich, wenn der Arbeitgeber den für das Arbeitsverhältnis geltenden Tarifvertrag nicht heraugeben will.

Fast alle Arbeitsverträge enthalten einen Hinweis darauf, dass ein Tarifvertrag gelten soll. Wie genau die entsprechende Klausel ausgestaltet ist, soll hier nicht weiter interessieren, denn auch da gibt es Unterschiede. Fakt ist, mit so einer Bezugnahme ist der Tarifvertrag Bestandteil des Arbeitsvertrages. Der Arbeitnehmer sollte seinen Inhalt also kennen. Und ich meine hier nicht nur die oft sehr kurzen Ausschlussfristen, auf die ich an anderer Stelle schon hingewiesen habe.

Zahlreiche Rechte und Pflichten können sich in so einem Tarifvertrag verbergen. Sind Tarifverträge allgemeinverbindlich und gelten somit wie ein Gesetz, sind sie leicht zu finden. Auch zahlreiche andere Tarifverträge findet man im Internet oder bekommt sie bei Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden.

Hier soll jedoch der Fall besprochen werden, in dem der Arbeitgeber ganz eifersüchtig auf dem Tarifvertrag hockt und ihn nicht herausgibt. Im Tarifvertragsgesetz steht dazu, dass der Tarifvertrag „ausgelegt“ werden muss. Das Nachweisgesetzt spricht davon, dass im Arbeitsvertrag ein allgemeiner Hinweis auf die geltenden Tarifverträge enthalten sein muss. Aber damit kommt man eben nicht weit. Tarifverträge sind komplizierte Angelegenheiten. Ein Arbeitnehmer mag ihn in der Personalabteilung zwar lesen, wenn er aber keine Kopie anfertigen darf (was gar nicht so selten vorkommt), dann kann ihn sein Anwalt nicht gut beraten. Der Anwalt (und damit natürlich auch der Arbeitnehmer) braucht es schwarz auf weiß. Auf Anhieb findet sich aber keine Anspruchsgrundlage im Gesetz, mit der der Tarifvertrag herausverlangt werden kann, so dass man ein Exemplar zur Prüfung mitnehmen kann. In den Fällen, die ich im Blick habe, haben wir es mit besonders „bockigen“ Arbeitgebern zu tun, die stur auf das Gesetz hinweisen und da steht eben keine Pflicht zur Herausgabe drin.

Was also tun in so einem Fall? Sollte ein Arbeitnehmer, der den Tarifvertrag nicht herausgegeben bekommt, eine Ausschlussfrist versäumen, muss ihm m.E. ein Schadensersatzanspruch zustehen. Es kann nämlich von keinem juristischen Laien verlangt werden, dass er durch bloßes lesen und einprägen den Inhalt eines ganzen Tarifvertrages im Kopf behält mit allen juristischen Feinheiten. Ist also durch das Versäumen der Ausschlussfrist ein Lohnanspruch futsch, muss in derselben Höhe ein Schadensersatzanspruch entstehen. Geht es um andere tarifliche Regelungen, aus denen sich Rechte des Arbeitnehmers ergeben können, muss man auf Auskunft klagen können, das bedeutet dann, dass der Arbeitgeber auf diesem Wege den Inhalt des Tarifvertrages preisgeben muss.

Entschieden sind diese Fälle leider noch nicht und auch unter Arbeitsrechtlern hoch umstritten. Sollte man also Schwierigkeiten haben, an Dokumente heranzukommen, die Inhalt des Arbeitsvertrages sind (gilt auch für Betriebsvereinbarungen), sollte man sich so schnell wie möglich anwaltlichen Rat suchen. Es gibt Wege, doch noch zu seinem Recht zu kommen – davon bin ich überzeugt.

Mehr Informationen vom Rechtsanwalt bekommen Sie hier:
Anwaltskanzlei für Arbeitsrecht – Rechtsanwältin Dr. Sandra Flämig
Liebknechtstraße 33, 70565 Stuttgart
Tel.: + 49 711 35 108 34 – Fax: + 49 711 350 95 60
Email: flaemig(at)kanzlei-flaemig(dot)de
https://www.kanzlei-flaemig.de

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

Sandra Flämig hat 4,99 von 5 Sternen 171 Bewertungen auf ProvenExpert.com