29 Jan
2012

Generalanwalt des EuGH: Kein allgemeiner Auskunftsanspruch für abgelehnte Bewerber ABER bei vorliegen von Indizien vielleicht schon ….

Die Situation ist ärgerlich. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll die Arbeitnehmerrechte stärken. Doch seit Einführung des Gesetzes erhalten sogar Bewerber/innen, die an sich die Voraussetzungen von ausgeschriebenen Stellen erfüllen, keine Auskunft darüber, ob und aufgrund welcher Kriterien ein anderer Bewerber eingestellt wurde.

Diese wichtige Frage beschäftigt wegen des europarechtlichen Bezuges des Diskriminierungsrechts aktuell den Europäischen Gerichtshof (EuGH) – die Schlussanträge hat der Generalanwalt am 12.01. bereits gestellt.

Sofern der EuGH -wie fast immer- den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, sollten Sie die rechtlichen Konsequenzen der für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen wichtigen Entscheidung bereits jetzt für Ihre Personalpraxis berücksichtigen!

Geklagt hatte eine 1961 in Russland geborene Inhaberin eines russischen Diploms als Systemtechnik – Ingenieurin. Die Gleichwertigkeit mit einem in Deutschland von einer Fachhochschule erteilten Diplom wurde anerkannt. Das Unternehmen suchte via Stellenanzeige nach „eine[m/r] erfahrene[n] Softwareentwickler/-in“. Die Klägerin erhielt auf ihre Bewerbung prompt eine Absage. Das beklagte Unternehmen veröffentlichte kurz darauf im Internet eine inhaltsgleiche Stellenanzeige. Die Klägerin bewarb sich erneut und bekam wiederum eine Absage ohne Erläuterung der Ablehnung und ohne sie zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Daraufhin verlangte die Klägerin neben einer Geldentschädigung von dem Unternehmen Einsicht in die Bewerbungsunterlagen des erfolgreichen Mitstreiters, um ihre Qualifikation mit derjenigen des erfolgreichen Bewerbers abzugleichen und um so die Erfolgsaussichten für eine Klage nach dem AGG auszuloten.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sah nach deutschem Recht keine Grundlage, der Klägerin zu einem allgemeinen Auskunftsanspruch gegen das Unternehmen zu verhelfen, woraufhin das BAG den Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

Der Schlussantrag des Generalanwalts tendiert nun in dieselbe Richtung wie das BAG, wonach einem abgelehnten Bewerber gegen ein Unternehmen auch aus EU-rechtlicher Sicht kein Anspruch auf Auskunft darüber zusteht, ob und aufgrund welcher Kriterien ein anderer Bewerber eingestellt wurde. Dies gelte selbst dann, wenn der Bewerber das Stellenanforderungsprofil des potentiellen Arbeitgebers erfüllt.

Für Arbeitgeber besteht indes kein Grund zum Aufatmen, denn der Generalanwalt will Bewerber in gleichgelagerten Fällen nicht völlig rechtlos stellen. In seinem weiteren Schlussantrag hält er Bewerbern zur Wahrung des Schutzauftrages des AGG eine Hintertüre offen. Das Verhalten eines Unternehmens im Bewerbungsprozess, das in der Weigerung besteht, dem abgelehnten Bewerber Auskünfte über das Ergebnis der Einstellung zu erteilen, müsse im Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Kommen zur Auskunftsverweigerung Aspekte hinzu wie die Übereinstimmung der Qualifikation des Bewerbers mit der ausgeschriebenen Stelle, die (erstmalig) unterbliebene Einladung des Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch, bzw. eine erneute Unterlassung einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, obgleich für dieselbe Stelle eine zweite Bewerberauswahlrunde stattfand, könne die Indizwirkung für das Vorliegen einer Benachteiligung auslösen. Der Arbeitgeber müsste dann im Prozess das Gegenteil beweisen.

Unternehmen tun gut daran, zu prüfen, ob die Bewerbungsprozesse trotz hoher Arbeitsbelastungen der HR-Abteilungen nach wie vor genau dokumentiert werden.

Bewerber/innen, die sich in einer ähnlichen Situation wie die Klägerin befinden, sollten sich zeitnah rechtlich beraten lassen, ob ihr Fall Ansprüche nach dem AGG auslöst.

Mehr Informationen vom Rechtsanwalt bekommen Sie hier:
Anwaltskanzlei für Arbeitsrecht – Rechtsanwältin Dr. Sandra Flämig
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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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