Der Fall, den das LAG Hessen am 23.7.2013 (4 Sa 617/13) entschieden hat ist wirklich bitter – für den Arbeitgeber und für den Arbeitnehmer. Es ist so ein Fall, bei dem es nur Verlierer gibt. Der Kläger hat sich die Hand gebrochen, weil er vor Wut mit der Faust auf ein Verkaufsschild geschlagen hat. Der Arbeitgeber muss trotz verschuldeter Krankheit Entgeltfortzahlung leisten.
Der Kläger ist Gabelstaplerfahrer in einem Baumarkt beschäftigt. Er muss mit seinem Gabelstapler auch im Außenbereich herumfahren und hat sich zum Schutz vor Regen ein Plexiglasdach an seinem Stapler angebracht. Der betriebliche Sicherheitsbeauftragte jedoch fand diese Lösung gar nicht toll und hielt den Mann an, dass Dach wieder abzuschrauben. So nüchtern steht es im Tatbestand des Urteils. Was dann kommt, lässt jedoch den Schluss zu, dass sich hier eine ganze Menge Frust angestaut hatte. Es ist schwer vorstellbar, dass nur die „Aufforderung“, das Dach abzuschrauben, zu folgendem führt:
Der Arbeitnehmer geriet so in Rage, dass er dreimal mit der Faust auf ein in der Nähe stehendes Verkaufsschild einschlug und sich dabei die Hand brach. Um sich die Hand zu brechen, muss man schon sehr stark zuschlagen. Schon der erste Schlag auf das Schild muss höllisch weh getan haben und hätte den Mann eigentlich zur Vernunft bringen müssen. Dennoch sah der Arbeitnehmer immer noch rot und hieb zwei weitere Male selbstzerstörerisch auf das Schild ein, bis die Hand kaputt war.
Im Anschluss war er einen Monat krank und verlangte Entgeltfortzahlung in Höhe von 2662,52 Euro. Der Arbeitgeber sagte sich: „Selbst schuld!“ und verweigerte die Zahlung unter Berufung auf § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, in dem es heißt:
„Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.“ (Hervorhebung von mir)
Das LAG sah es als erwiesen an, dass der Arbeitnehmer zumindest fahrlässig gehandelt hat. Es belehrte den Arbeitgeber aber dahingehend, dass es sich bei dem Begriff des Verschuldens im Entgeltfortzahlungsgesetz um einen anderen als im allgemeinen Zivilrecht handele.
Mit Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz sei grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz gemeint.
Dem Arbeitnehmer sei höchstens mittlere Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Das Gericht konnte nicht erkennen, dass der wütende Mann seine Verletzung bewusst herbeigeführt habe. Er habe zwar damit rechnen müssen, dass er sich verletzen würde. In der Situation habe er sich aber in einem solchen Erregungszustand befunden, dass er sich kurzzeitig nicht unter Kontrolle hatte. Dies sei menschlich nachvollziehbar, denn niemand habe sich immer und überall unter Kontrolle.
Die Entscheidung ist weise und richtig. Auch hier hat ein Gericht versucht, eine Kompensation vorzunehmen für etwas, das ein Gericht eigentlich nicht klären kann: Es hat offensichtlich gesehen, dass der Arbeitgeber eine Mitschuld an dem Verhalten des Arbeitnehmers trägt. Das wird zwar nicht klar gesagt aber die Milde, mit der das wirklich idiotische Handeln des Arbeitnehmers bewertet wird, spricht dafür, dass es so war. Und auch das ist richtig, denn kaum ein Mensch wird sich bei einer einmaligen Kritik an einem Handeln so aus der Fassung bringen lassen, dass er sich selbst die Hand bricht. Es muss dazu eine Vorgeschichte gegeben haben, die vor Gericht nicht zur Sprache kam, die aber der sensible Beobachter auch zwischen den Zeilen erkennen kann.
Ob sich die Parteien dieses Rechtsstreits ihr Kommunikationsverhalten mal angesehen haben, bleibt offen wäre aber sehr sinnvoll.