3 Mrz
2010

Betriebliche Übung: „Die ich rief, die Geister ….“

von Dr. Sandra Flämig: Rechtsanwältin – Fachanwältin für Arbeitsrecht Stuttgart

Was Goethe seinen „Zauberlehrling“ erleben lässt, kann einem Arbeitgeber auch passieren. Die betriebliche Übung lässt uns im übertragenen und im buchstäblichen Sinne nicht los. Sie wird oft unterschätzt und birgt doch zahlreiche Tücken für Arbeitgeber. Vor allem, weil sie sich so „einschleicht“ ins Arbeitsverhältnis. Anders als beim Zauberlehrling, wird sie vom Arbeitgeber ja gar nicht ausdrücklich „gerufen“, d.h. ausdrücklich vereinbart. Sie entsteht durch mehrmaliges kommentarloses Verhalten.

Und das geht so:

Häufig bekommt man in Unternehmen beim Hinterfragen mancher Betriebsabläufe Antworten wie: „Das war schon immer so„ oder „Das haben wir immer so gemacht.“
Was sich lapidar anhört, kann jedoch arbeitsrechtlich bedeutsam werden. Es könnte nämlich eine sogenannte betriebliche Übung entstanden sein, die wesentliche Auswirkungen z.B. monetärer Art auf das Beschäftigungsverhältnis haben kann.
In seinen neueren Entscheidungen wird vom Bundesarbeitsgericht eine betriebliche Übung als gleichwertiger vertraglicher Anspruch betrachtet. Ganz so, als hätte man sich ausdrücklich (mündlich oder schriftlich) geeinigt. Die gegenläufige „betriebliche Übung“ als Aufhebungsgrund einer betrieblichen Übung wird daher vom BAG schon seit März 2009 nicht mehr anerkannt. D.h. man kann eine betriebliche Übung (z.B.: 3 Mal hintereinander gibt es 500 Euro Weihnachtsgeld) nicht durch Aussetzen wieder zu Fall bringen (z.B.: 3 Mal hintereinander gibt es die 500 Euro eben nicht mehr).

Aufgrund dieses Rechtsgrundsatzes ist eine betriebliche Übung nur durch Kündigung oder einer einvernehmlichen Vertragsänderung aufzuheben bzw. abzuändern – wie jeder andere vertragliche Anspruch ja auch.

Im aktuellen Fall, den das BAG mit seinem Urteil vom 25.11.09 (10 AZR 779/08) abgeschlossen hat,
ging es um ein Treuegeld. Dieses Treuegeld sollte aufgrund einer Betriebsordnung gezahlt werden. Dazu sollte die Betriebsordnung in eineBetriebsvereinbarung aufgenommen werden. Das geschah jedoch nie. Der Betrieb wandte diese Regelungen trotzdem seit 1994 ununterbrochen an. Eine betriebliche Übung wurde geboren.

2002 wurde mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die eine Rundung auf glatte Euro-Beträge und eine Anpassung des Treuegeldes vorsah. Im Jahr 2003 kündigte das Unternehmen die „Betriebsordnung“ und zahlte ab 2004 keine Treuegelder mehr. Um ganz sicher zu gehen, erfolgte im Jahr 2005 ein nochmaliger Widerruf der Betriebsordnung.

Ein Beschäftigter klagte daraufhin auf Zahlung des Treuegeldes für 2007 und auf Feststellung von Ansprüchen für die Folgejahre. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht gaben der Klage statt und das Bundesarbeitsgericht wies jetzt in letzter Instanz die Revision des Arbeitgebers ab. Es lag nach Auffassung des Gerichtes keine Vertragsänderung vor, da weder eine ausdrückliche noch konkludente (schlüssiges Verhalten) Annahme der Vertragsänderung durch den klagenden Arbeitnehmer erfolgte.

Der Arbeitgeber hatte lediglich eine nicht einmal existierende Betriebsvereinbarung gekündigt. Die Kündigung ging daher in die Leere. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer mit der „Kündigung der Betriebsordnung“ jedoch auch nicht das Angebot gemacht, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen (nämlich ohne Treuegeld).
Dass der Mitarbeiter trotzdem das Arbeitsverhältnis fortgesetzt hat, ist auch keine Annahme der Änderung, da sich diese nicht unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis auswirkte. Selbst das mehrmalige Nichtgeltendmachen der jährlichen Treuegelder lasse daher nicht den Schluss zu, dass der Arbeitnehmer auf das Treuegeld verzichten werde. Dazu hätte es mehr bedurft. Diese rechtliche Wertung ist auch absolut richtig. Man stelle sich vor, der Arbeitgeber kürzt das Arbeitsentgelt von 3000 Euro auf 1000 Euro und der Arbeitnehmer reagiert ein Jahr lang nicht. Der Arbeitgeber kann dann nicht davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer mit der Zahlung von nunmehr 1000 Euro einverstanden ist. Hintergrund des „Nichtstuns“ des Arbeitnehmers kann vieles sein (z.B. Hoffnung auf bessere Zeiten; keinen Streit mit dem Arbeitgeber haben wollen etc.).

Oft versuchen Arbeitgeber, über eine „betriebliche Übung“ eine Betriebsvereinbarung abzuschließen, um diese dann in angemessener Zeit wieder zu kündigen und so die ungeliebte „betriebliche Übung“ für immer zu beseitigen. Aber auch das hilft meistens nicht, da davon auszugehen ist, dass die vorherige „betriebliche Übung“ wieder auflebt.

Am besten ist also „klare Kante“, d.h. ausdrücklich regeln, was Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden soll. Am besten schriftlich.

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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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