24 Jun
2013

Beleidigung des Chefs durch Dritte: Zulässiger Kündigungsgrund?

Diese Frage hatte das LAG Berlin-Brandenburg am 5.4.2013 (10 Sa 2339/12) zu entscheiden. Der Fall war interessant. Juristisch gesehen war er sehr einfach und klar gelagert. Psychologisch gesehen bietet sich hier sehr viel Lernstoff für alle Beteiligten:

Eine Arbeitnehmerin war als Altenpflegerin beschäftigt. Bei dem Arbeitgeber existierte ein Betriebsrat. Die Klägerin hatte nach dem ursprünglich ausgehängten Dienstplan an einem Wochenende im Juni und an einem Wochenende im Juli, das ihrem Jahresurlaub vorausging, frei. Die Vorgesetzte der Arbeitnehmerin änderte diesen Dienstplan kurzfristig ohne Zustimmung des Betriebsrates zuungunsten der Arbeitnehmerin. Die Chefin gewährte einer anderen Mitarbeiterin Urlaub und strich die bereits eingetragenen freien Wochenenden der Klägerin. Die Klägerin intervenierte bei der PDL, die sich auch kümmern und mit der Vorgesetzten Rücksprache halten wollte. Es geschah jedoch nichts. Daraufhin rief die Klägerin bei ihrer Vorgesetzten an und reichte den Hörer im Verlauf des Gesprächs an ihren Ehemann weiter. Was der gesagt haben soll, ist streitig zwischen den Parteien. Die Beklagte behauptet, der Ehemann hätte die begünstigte Kollegin als „bescheuert“ bezeichnet und hinsichtlich der Chefin angekündigt, dass er sich jetzt an den Arbeitsort begebe, um ihr „eins auf die Fresse zu hauen“. Daraufhin wurde der Arbeitnehmerin gekündigt. Sie habe die Pflichten aus dem  Arbeitsvertrag verletzt, weil ihr Ehemann die Chefin und die Kollegin beleidigt habe. Man reibt sich die Augen. Die Ehefrau soll für das Verhalten ihres volljährigen Ehemannes verantwortlich gemacht werden?

Der Arbeitgeber unterlag in beiden Instanzen. Das Verhalten des Ehemannes sei der Arbeitnehmerin nicht zuzurechnen. Die Klägerin habe nicht vorhersehen können, dass ihr Ehemann derart ausfällig wird und sie habe daher auch nicht die Pflicht gehabt, es zu verhindern. Selbst wenn man davon ausgehen müsste, dass die bestrittenen Behauptungen hinsichtlich des Wortlautes des Telefonates der Wahrheit entsprächen und selbst wenn die Arbeitnehmerin den Ausbruch ihres Mannes hätte vorhersehen können, hätte nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg eine Abmahnung genügt. Und selbst wenn man zu der Ansicht gelangen würde, dass ein solcher hypothetischer Pflichtverstoß der Klägerin so gravierend gewesen wäre, dass eine Abmahnung nicht erforderlich gewesen wäre, so würde die Klägerin immer noch gewinnen, weil die Interessenabwägung zu ihren Gunsten ausgehen würde. Schließlich ging dem Gefühlsausbruch des Ehemannes ein Fehlverhalten der Vorgesetzten voraus. Sie durfte den Dienstplan ohne Zustimmung des Betriebsrates nicht einfach ändern (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Die Arbeitnehmerin hätte sich an diesen Dienstplan nicht einmal halten müssen. Dies alles ist juristisch klar und einleuchtend und es ist erstaunlich, dass der Arbeitgeber versucht hat, der Arbeitnehmerin bei dieser unsicheren Ausgangslage dennoch gekündigt hat. Mögliche Gründe werden im nächsten Artikel erörtert…

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Blog

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