Zeugnisse schreiben und Zeugnisse bekommen ist für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen mit Schmerzen verbunden. Die einen fühlen sich verschaukelt, weil sie -angeblich- nur Gutes schreiben dürfen. Die anderen halten sich für einen Bestandteil der Olympiamannschaft des Unternehmens. Beide Sichtweisen sind extrem und so nicht richtig. Allerdings gibt es einen nicht wegzudenkenden tatsächlichen Umstand: es gibt, glaubt man einschlägigen Studien, fast nur gute und sehr gute Zeugnisse. Das Arbeitsgericht Berlin-Brandenburg wagte deswegen mit seinem Urteil vom 21.3.2013 (18 Sa 2133/12) einen Vorstoß, über den in diesem Blog schon berichtet wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Vorstoß jetzt mit überzeugender Begründung eingebremst (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.11.2014, 9 AZR 584/13 – bisher nur PM).
Eine Arbeitnehmerin hatte ein Zeugnis mit der Zusammenfassung „zu unserer vollen Zufriedenheit“ erhalten. Dies entspricht einer Schulnote „befriedigend“. Sie argumentierte damit, dass ca. 90 % aller Zeugnisse eine Gesamtbewertung zwischen Schulnote 1 und 2 ausweisen. Das Bundesarbeitsgericht, so die Arbeitnehmerin weiter, habe aber in seiner Zeugnisrechtsprechung immer festgehalten, dass der Arbeitgeber zu einer durchschnittlichen Bewertung verpflichtet ist und dass der Arbeitnehmer die Beweislast trage, wenn er ein überdurchschnittliches Zeugnis beanspruche und der Arbeitgeber die Beweislast zu tragen habe, wenn er ein unterdurchschnittliches Zeugnis erteilen wolle. Diese Rechtsprechung des BAG ist grundsätzlich so richtig wiedergegeben. Die Arbeitnehmerin zog den Schluss aus der Statistik der erteilten Zeugnisse, dass eine Note 3 nicht dem Durchschnitt entspreche. Dies ist auf jeden Fall nachvollziehbar, wenn man den Durchschnitt aller erteilten Zeugnisse nimmt.
Das Bundesarbeitsgericht hat nun aber an seiner Rechtsprechung festgehalten: Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein durchschnittliches Zeugnis. Durchschnitt ist eine Note 3. Will er ein besseres Zeugnis, muss er beweisen, dass er besser war usw. Das Bundesarbeitsgericht führt zu der Argumentation der Arbeitnehmerin und des LAG Berlin-Brandenburg aus: Es sei schon richtig, dass es die besagten Studien gibt (90% gut bis sehr gut). Diese Studien treffen aber keine Aussage, ob die Leistungen der bewerteten Arbeitnehmer wirklich „gut bis sehr gut“ waren. Es sei aus der Studie auch nicht ersichtlich, wie hoch der Anteil an Gefälligkeitszeugnissen, die nicht der Wahrheit entsprechen, gewesen ist. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass auch Gefälligkeitszeugnisse in die Studie eingegangen seinen.
Ein Zeugnis müsse aber der Wahrheit entsprechen. Darauf ist der Zeugnisanspruch nach § 109 GewO gerichtet. Dies umfasse auch die Schlussnote. Das BAG hat hinzu gefügt, dass das Zeugnis auch nur im Rahmen der Wahrheit wohlwollend sein muss. Auf die Note „befriedigend“ als Durchschnitt kommt das BAG, weil sich eben die Note 3 in der Mitte der Zufriedenheitsskala befindet.
Das Urteil ist ernüchternd und tut gut. Vielleicht bewirkt es, dass sich die Bewertungen in Zeugnissen wieder so entwickeln, dass die Notenskala voll ausgeschöpft werden kann.