30 Sep
2013

Mobbing, Opferrolle und das Ringen um Klarheit

Meine Artikel kann man kommentieren. Ich wünsche mir das sogar sehr. In der Regel antworte ich direkt darauf. Diesmal ist es anders. Ein Einsender hatte mit vollem Namen sehr stark auf meinen Artikel vom 5.9.2013 „Mobbing – Opferrolle und die Lust darauf mutig zu sein“ reagiert.

Ich habe überlegt, wie ich diesem Einsender am besten gerecht werden kann. Wenn es sich bei dem Namen, den er angegeben hat, um seinen richtigen Namen handelt, dann muss ich ihn schützen, denn offensichtlich befindet er sich in einem laufenden Verfahren mit seinem Arbeitgeber und er möchte mit seiner Kündigungsschutzklage erreichen, dass er weiter dort arbeiten kann. Seine Worte könnten dieses Ziel gefährden. Immerhin lesen meinen Blog mehr als 15.000 Menschen pro Monat und der Arbeitgeber des Einsenders könnte auch darunter sein.

Die Reaktion des Einsenders ist aber so kraftvoll und exemplarisch, dass ich diesen Artikel nutzen möchte, um direkt darauf zu antworten und auch anderen Betroffenen (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) meine Ansicht zum Thema Mobbing nahe zu bringen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich nicht richtig verständlich gemacht habe.

Der Einsender schrieb:

“ „muss er heraus finden, warum er in diese Situation gekommen ist“ ? 

In meinem Fall, weil Personal um jeden Preis abgebaut werden soll und es da kein Halten mehr vor Behinderung, Alter oder Geschlecht mehr gibt! Heute habe ich dann vor Gericht erneut erfahren müssen, dass es Mobbing nicht gibt, Diskriminierung in Deutschland nicht stattfindet und jeder der so etwas behauptet und belegen könnte, wenn man ihm denn zuhören würde, nichts als ein „Fall Mollath“ ist! Und weil das so ist, wird einem ein Kuhhandel vorgeschlagen: Nimm doch das gute Zeugnis was wir dir bieten und akzeptiere dafür deine Kündigung. Dann sind wir sogar bereit dir Annahmeverzugslohn zuzugestehen. Wähle doch: Pest oder Cholera! Und weil ich weder erpressbar noch käuflich bin, werde ich weiter klagen! Mobbing gibt es in Deutschland nicht?Diskriminierung gibt es in Deutschland nicht? Alle selber schuld oder unfähig, die richtige  Entscheidung zu treffen? Ich durfte wieder nach Hause gehen, die Psychiatrie wurde mir nicht angedroht, vorgeschlagen oder verordnet. So gesehen hatte ich heute echt Glück!“

Aus dieser Einsendung spricht die blanke Wut. Ich kenne den dahinterliegenden Sachverhalt nicht. Ich weiß nicht, ob der Einsender diskriminiert oder gemobbt worden ist und dies auch beweisen kann. D.h. ich weiß nicht wer genau, was genau, wann genau getan haben soll bzw. getan hat und welche Zeugen oder Urkundenbeweise es dafür gibt. Ich weiß nicht, ob Personal um jeden Preis abgebaut werden sollte und was der Einsender mit „um jeden Preis“ meint.

Das alles ist aber auch für meine Betrachtung erst einmal nicht wichtig. Ich danke dem Einsender für diese offenen Worte und den Blick, den er mir in sein Inneres gewährt hat, denn ich sehe die blanke Wut und jede Menge andere überbordende negative Gefühle, die sich unkontrolliert Bahn brechen. Dieser Mensch möchte um sich schlagen. Er fühlt sich als ein Fall von Justizirrtum (Der Fall Mollath wird als Vergleich herangezogen). Ich sehe aber auch, dass der Einsender sich seine Gefühle nicht angesehen hat. Es hat keine Auseinandersetzung damit stattgefunden, was genau zu der Situation „Ich werde gekündigt und ich fühle mich gemobbt und diskriminiert“ geführt hat. Es wird nicht analysiert, ob und wenn ja welche Eigenanteile man daran hat und welche sachlichen Argumente es möglicherweise für die Kündigung gegeben hat.

Bei dieser notwendigen Analyse geht es nie um Schuld. Es geht auch nicht darum, Diskriminierung und Mobbing zu leugnen. Es gibt Diskriminierung und Mobbing. Dennoch bin ich der Ansicht, dass man in einer arbeitsrechtlichen Extremsituation, die einen ggf. auch in eine existenzielle Lebenskrise bringt, um Sachlichkeit und Klarheit ringen muss. Das heißt, man muss sich sortieren. Man muss die Gefühle, die im Raum sind, anschauen und integrieren – auch wenn es sehr weh tut.

Ja, Psychokacke. Ich weiß. Nicht schön, sich damit zu beschäftigen.

Aber wenn man wieder in der Lage sein will, sachliche Entscheidungen mit einem kühlen Kopf zu treffen, muss man da durch.

Es kann ja auch Ergebnis sein, dass man wirklich diskriminiert wurde, dass es sich um eine Situation handelt, die man noch nie in seinem Leben hatte und dass man das sogar beweisen kann. Dann trifft man eine Entscheidung über die Vorgehensweise und los geht ´s.

Es kann aber auch sein, dass man beim ehrlichen hinschauen sieht, dass man in der Situation schon des Öfteren war. Es gibt ein Muster. Und auch hier geht es beim Betrachten der Eigenanteile nicht um Schuld. Es geht darum, das Muster zu erkennen, sich damit auseinanderzusetzen und in Zukunft nicht wieder nach demselben Muster zu verfahren.

Der Einsender schrieb noch von einem Kuhhandel und dass er nicht erpressbar bzw. käuflich ist und daher weiter klagen werde. Er empfand die Entscheidung vor die ihn der Richter bei den Vergleichsverhandlungen gestellt hat als eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Auch hier habe ich den Eindruck, dass die Entscheidung, weiter zu klagen, nicht sachlich getroffen wurde. Vielleicht steckt neben dem Gefühl „Das lass ich mit mir nicht machen! / Gerechtigkeit! “ auch die große Angst vor Veränderung (Pest oder Cholera) in der Reaktion des Einsenders.

Was ist aus meiner Sicht in solchen Fällen zu tun:

Man braucht neben der juristischen Beratung unbedingt einen Coach bzw. einen Therapeuten, mit dem man die verletzten Gefühle einsortieren und bearbeiten kann. Dies hilft dem Mandanten und dem Anwalt, sich den sachlichen juristischen Möglichkeiten zuzuwenden. Dabei ist das Ergebnis gar nicht wichtig. Man kann sich am Ende für eine Klage oder dagegen entscheiden oder man finden einen anderen Weg. Wichtig ist, dass das Ergebnis sauber gefunden wurde. Sauber heißt, mit der größtmöglichen Klarheit und Sachlichkeit und mit dem Wissen um die Konsequenzen des  eigenen Vorgehens.

Ein kühler Verhandlungspartner ist im Übrigen viel gefährlicher als ein emotionaler. Emotional gesteuerte Menschen lassen sich ganz leicht manipulieren …

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Arbeitswelt heute Blog

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